Armut

Armut und Krieg

Vertiefung: Kriege als Grundlage für Veränderungen
Kriegerische Auseinandersetzung und Konflikte hatten und haben gravierende Auswirkungen auf die betroffenen Gesellschaften und Gebiete. Insbesondere der Erste und Zweite Weltkrieg sorgten für unvorstellbares Leid. Neben den Millionen von getöteten Soldaten und Zivilisten verloren auch unzählige Familien ihre Existenzgrundlagen durch die beiden Weltkriege. Obwohl die Schweiz nicht aktiv am Kriegsgeschehen teilnahm, wurde sie aufgrund ihrer geografischen Lage von den Entwicklungen und Geschehnissen in den Nachbarstaaten stark beeinflusst.

Die Weltkriege wirkten in der Schweiz als Katalysator der bestehenden sozialen Missstände. Diese hatten ihre Ursprünge in der Industrialisierung und den daraus entstandenen sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Transformationsprozessen. Durch das Aufkommen der “sozialen Frage” wurde die prekäre Lage vieler Menschen ein gesellschaftliches Thema. In der Industrialisierung führte die Abwanderung von grossen Teilen der Landbevölkerung in urbane Ballungsräume zu einer Massenarmut der neu entstehenden Arbeiterklasse. Katastrophale Lebensbedingungen und finanzielle Engpässe gehörten für viele Menschen zur Tagesordnung. Die prekären Lebensbedingungen der Arbeiterklasse führten zur Etablierung von linken Parteien im politischen Spektrum der Schweiz. Diese forderten vehement staatliche Unterstützung und die Etablierung eines funktionierenden Sozialstaates zur Bekämpfung der Armut in der Schweiz.

Ein erster Lösungsansatz seitens des Bundes war die Einführung der Erwerbsausfallentschädigung, kurz EO, nach dem 1. Weltkrieg als Reaktion auf die Folgen des Landesstreiks von 1918. Gedacht war die EO für Militärdienstleistende, die während ihrer Dienstzeit keiner Arbeit nachgehen konnten. Die Wirkung der Entschädigung war zu spüren, reichte aber nicht aus, um das Problem komplett aus der Welt zu schaffen. Vor allem Pensionierte und Hinterbliebene wurden nach wie vor finanziell nicht vom Staat unterstützt. Dies änderte sich erst mit der Einführung der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) kurz nach dem 2. Weltkrieg. Für die Schweiz waren die Weltkriege also ein Katalysator und Treiber für politische, soziale und gesellschaftliche Neuerungen, die letztendlich den Sozialstaat politisch mehrheitsfähig machten und zur Etablierung von staatlichen Sozialwerken führten.

Der Krieg als Katalysator der Armut in der Schweiz

Schmuggelschuh
Volksküche in Basel während dem 1. Weltkrieg
Verteilung der Kartoffel-Rationen im Raum Zürich im Jahre 1917
Das Thema Armut wurde erst im späten 19. Jahrhundert als staatliches Problem wahrgenommen. Die staatliche Bekämpfung der Armut begann allerdings erst mit dem Beginn des 1. Weltkriegs 1914. Obwohl die Schweiz nicht aktiv am Kriegsgeschehen teilnahm, waren die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges auf weite Teile der Schweizer Bevölkerung verheerend. Akuter Lebensmittelmangel und die prekäre finanzielle Situation von vielen Familien – viele Männer und Familienväter konnten aufgrund ihrer Einsätze in der Schweizer Armee keiner Arbeit nachgehen und somit nichts verdienen – waren in dieser Zeit prägend.

Für die Schweiz war der Import von Lebensmitteln aus dem naheliegenden Grenzgebiet von grosser Bedeutung. Aufgrund des Kriegsgeschehens in den Nachbarländern brach der Import allerdings massiv ein. Es musste reagiert werden. So wurden im Raum Basel brachliegende Ländereien, öffentliche Anlagen wie Parks, Spielplätze und Ziergärten sowie private Gebiete zu Anbauflächen für Getreide, Kartoffeln und Gemüse umgewandelt. Ein Unterschied zwischen Stadt und Land konnte nicht mehr erkannt werden. Trotz all diesen Bemühungen stiegen die Lebensmittelpreise weiterhin in die Höhe.

Kombiniert mit dem tiefer werdenden Einkommen der Bevölkerung war es also unabdingbar, dass die Menschen immer mehr in Richtung Armut schlitterten. Ähnlich respektive noch prekärer war die Lage in den umliegenden Grenzgebieten der Schweiz. Um Lebensmittel und sonstige Waren zu beschaffen, wurden Schmuggler in die Schweiz geschickt (zum Teil gar Kinder). Das Bild links zeigt, wie kreativ und innovativ die Schmuggler ihre Waren über die Grenzen transportierten. In der Schuhsohle befand sich ein Hohlraum, welcher mit Waren gefüllt werden konnte. Nicht immer waren diese Schmuggelaktionen von Erfolg gekrönt. Verhaftungen waren an der Tagesordnung und teilweise kam es auch zu tödlichen Auseinandersetzungen mit Grenzwächtern. Das Militär wurde daraufhin beauftragt, dem Zollamt an der Grenze Unterstützung zu leisten. Dem Schmuggel konnte aber trotzdem nie das Handwerk gelegt werden.

Der Staat versuchte durch verschiedene Massnahmen, die Situation der Bevölkerung zu verbessern. Ein Lösungsansatz waren die sogenannten Volksküchen. Sie wurden von gemeinnützigen Vereinen in Kooperation mit den Kantonen und Gemeinden betrieben. Die Volksküchen versorgten Menschen, welche am absoluten Existenzminimum lebten. Nebst den Volksküchen wurden zusätzlich Essensmarken an Notstandsbedürftige verteilt, mit denen Grundnahrungsmittel wie Milch und Brot besorgt werden konnten. Das mittlere Bild zeigt eine Volksküche in Basel. Dutzende Menschen sitzen dabei auf engstem Raum zusammen und erhalten eine Mahlzeit.

Weiter wurden Lebensmittel wie Brot und Milch staatlich rationiert. Wuchergeschäften wurde mit dieser neuen Gesetzgebung der Garaus gemacht. Das Wuchern der Preise setzte mit Beginn des Ersten Weltkrieges ein, als Verteiler und Verkäufer von Produkten für ihre Waren massiv höhere Preise verlangten und somit die Zwangslage der Bürgerinnen und Bürger ausnutzten. Diese Preissteigerungen konnten bei allen Lebensmitteln beobachtet werden. Während ein halbes Kilogramm Brot im Januar 1916 beispielsweise 23 Rappen kostete, musste man im Oktober 1917 für die gleiche Menge bereits 35 Rappen bezahlen. Beim Fleisch konnte man eine ähnliche prozentuale Steigerung beobachten. Der Preis eines halben Kilogramms Schweinefleisch stieg beispielsweise von 1.52 CHF im Januar 1916 auf 2.66 CHF im Oktober 1917.

Die bereits arg strapazierte Bevölkerung wurde von den Wucherkäufen noch ärmer. Das Ziel der Rationierung von Lebensmitteln war es somit auch, möglichst vielen Leuten den Zugang zu Grundnahrungsmitteln zu gewähren und einen Marktpreis für Produkte zu etablieren. Das Bild rechts aus dem Jahre 1917 zeigt, wie in Zürich Kartoffel-Rationen an die Bevölkerung verteilt wurden. 

 

Der Landesstreik als Höhepunkt der innerpolitischen Spannungen

Aufruf gegen den Landesstreik

Im Jahr 1918 war das Leben in der Schweiz auch nach dem Ende des Ersten Weltkrieges hart. Grosse Teile der Bevölkerung litten unter Versorgungsengpässen, tiefen Löhnen und der Teuerung. Zudem hatte der Krieg die bereits bestehenden politischen und gesellschaftlichen Spannungen in der Schweiz weiter verschärft. Auf der einen Seite standen die lohnabhängigen Arbeiterinnen und Arbeiter, welche die Auswirkungen des Krieges besonders stark zu spüren bekamen und immer vehementer auf ihre Rechte pochten. Diese Arbeiterschaft hatte ihre wichtige Bedeutung insbesondere während den Kriegsjahren erkannt und entsprechend wollte sie sich nicht mehr an den Rand der Gesellschaft drängen lassen. Auf der anderen Seite stand das Bürger- und Unternehmertum, welches teilweise von der Krise zu profitieren vermochte, aber gleichzeitig auch von Verlust- und Revolutionsängsten geplagt war. Weiter löste die Russische Revolution von 1917 in gewissen Kreisen grosse Ängste aus. Die vermeintliche Gefahr eines sozialistischen Putsches und somit eines bolschewistischen Umsturzes in der Schweiz verschärfte die Spannungen und das gegenseitige Misstrauen zusätzlich. Die gewerkschaftlich organisierte Arbeiterschaft und einzelne Angestelltenverbände begannen in verschiedene zeitlich und örtlich begrenzte Streiks zu treten. Die Streikenden forderten die 48-Stunden-Woche, eine Altersvorsorge sowie die Einführung des Frauenstimmrechts. Als Reaktion darauf mobilisierte der Bundesrat die Armee. Die Schweiz stand am Rande eines Bürgerkriegs.

Das Flugblatt im Bild links unten beinhaltet einen Streikaufruf des Oltener Komitees, Führungsstab der Schweizer Arbeiterschaft, zur Verhängung des allgemeinen Landesstreiks in der Schweiz. In diesem wurde die sofortige Zurückziehung der Truppen verlangt und die Landesregierung für ihr aggressives Vorgehen stark kritisiert. Unter anderem wurden sofortige Neuwahlen des Nationalrates auf Grundlage des Proporzes sowie die Einführung des Frauenwahlrechts und der 48-Stundenwoche gefordert. Der allgemeine Landesstreik wurde ausgerufen und die Verfasser wendeten sich auch direkt an die Arbeiter sowie an die Soldaten. Die Arbeiter wurden dazu ermutigt, für ihre Rechte und Forderungen einzustehen und durchzuhalten, den Soldaten dagegen wurde an das Gewissen appelliert. Am Schluss des Schreibens wendeten sich die Mitglieder des Oltener Komitees auch noch an die Staatsangestellten und Eisenbahner. Diese sollten sich auch am Streik beteiligen oder diesen wenigstens nicht behindern.

Beim Schreiben gegen den Landesstreik (gross im Bild oben) handelte es sich um einen Aufruf der demokratischen Partei der Stadt Bern an die Bürger Berns. In diesem wurde die Schliessung der Geschäfte als Akt der Nötigung und des Zwangs abgetan. Die Bürger Berns wurden dazu aufgefordert, den ungerechtfertigten Eingriffen entgegenzutreten und die Regierung zu unterstützen.

Reaktion und Drohung durch Polizei und Armee

Der Start des Zweiten Weltkriegs aus Sicht eines Zeitzeugen

Zeitzeugeninterview mit Albert Baumgartner über seine Erfahrungen als Schweizer Wehrpflichtiger im Zweiten Weltkrieg.

Albert Baumgartner kam am 30. August 1923 in Jonschwil zur Welt. Er hatte fünf Halbgeschwister, welche aus der ersten Ehe seiner Mutter stammten, und drei weitere volle Geschwister. Man darf also sagen, dass Albert Baumgartner in einer Grossfamilie aufwuchs. Die Zeit zwischen den Weltkriegen beschreibt er als eine harte Zeit, einerseits, da sein Vater bereits 1928 an einer Lungenentzündung starb, andererseits, weil vieles für eine Grossfamilie sehr teuer war und man daher teilweise mit sehr wenig auskommen musste. Seine Mutter erhielt die Witwenrente, was die Familie finanziell stark unterstützte. Sobald die Kinder jedoch in das Alter der Lehre kamen, mussten sie erst einmal arbeiten gehen und Geld für die Familie verdienen.

Als der Zweite Weltkrieg im Jahr 1939 begann, war Albert Baumgartner erst 16 Jahre alt. Die Situation zu Beginn beschreibt er als sehr schwierig. Man habe sehr einfach gelebt, es mussten aber alle durch das Gleiche. Das Glück seiner Familie sei es gewesen, dass sie ein grosses Haus mit viel Land besassen. Seine Mutter holte jeweils viel aus diesem Land heraus, baute Gemüse an und hatte eigene Apfelbäume. Einerseits konnte sie damit die Familie ernähren, andererseits auch Lebensmittel verkaufen. Neben zu Hause sein und Sport treiben gab es nicht allzu viel zu tun. Mit 19 Jahren musste er ins Militär einrücken, was ihm eigentlich gefiel, da die Schweiz glücklicherweise nicht direkt am Zweiten Weltkrieg beteiligt war. Im Militär sei es finanziell immer sehr knapp gewesen. Der Sold reichte nicht weit, ein Bier in ein Restaurant trinken zu gehen grenzte bereits an Luxus. An die Einführung der EO kann er sich nicht mehr genau erinnern, er weiss aber, dass das Geld, welches er insgesamt bekam, nicht für viel ausreichte. Ausserdem gab er von seinem Sold stets ein wenig an seine Mutter ab. Dadurch, dass Albert Baumgartner bereits vor dem Militär an einfache Verhältnisse gewöhnt war, kam er im Vergleich zu anderen wenigstens mit dem einseitigen und knappen Essen im Militär besser aus.

Die allgemeine Stimmung in der Bevölkerung sei während den Kriegsjahren bei allen ähnlich gewesen. Man hatte nicht viel Geld, Lebensmittel waren rationiert. Nur mit Lebensmittelmarken konnte man zu Produkten wie beispielsweise Brot, Milch und Butter kommen.  Man musste seine Einkäufe also sehr gut einteilen. Ausserdem bestand die stetige Angst, die Schweiz könnte von Deutschland angegriffen werden.

Die Ansichten von Albert Baumgartner teilen sich mit gefundenen Ansichten von restlichen Personen in der Schweiz. Sie zeigen jedoch auch auf, dass trotz Verbesserungen gegenüber dem Ersten Weltkrieg noch lange nicht alles perfekt war. Diese Realität ebnete den Weg für weitere und ausgebaute Sozialversicherungen wie beispielsweise die AHV.

Die Generalmobilmachung im Zweiten Weltkrieg entreisst den Familien ihre Haupteinnahmequelle

Allgemeine Kriegsmobilmachung

Ein zentrales Problem während der Weltkriege war die Abwesenheit der Familienväter, welche hauptsächlich für das Einkommen und Überleben der Familien verantwortlich waren. Diese Abwesenheit war im Ersten Weltkrieg mitunter ein Grund, weshalb die Armutsrate in der Schweiz enorm stieg. Auf dem Plakat zur Generalmobilmachung zu Beginn des Zweiten Weltkriegs lässt sich ablesen, warum eine so hohe Anzahl von Männern ihre Familien nicht mehr wirtschaftlich unterstützen konnten. Grundsätzlich hatten alle Dienst- und Hilfsdienstpflichtigen Männer, welche sich in der Schweiz befanden, einzurücken. Dies galt auch für Männer mit einer ärztlichen Dispens und Auslandsurlaub. Selbst Männer mit unbefristeten und befristeten Dispensationen mussten laut der Generalmobilmachung einrücken. Von der Einrückung verschont blieben einzig noch Personen der Personalreserve des Landsturms und des Hilfsdienstes, vereinzeltes Personal von Transportunternehmungen, kranke oder nicht reisefähige Wehrmänner und Männer, welche aufgrund eines militärischen Befehls vorläufig auf ihrem zivilen Posten zu verbleiben hatten. Es lässt sich somit leicht erkennen, dass durch die Generalmobilmachung im Zweiten Weltkrieg ein Grossteil der Männer ihren Familien fehlten. Im Ersten Weltkrieg führte dies zu einer steigenden Armut und zu sozialen Unruhen. Der Bundesrat wollte dies am Vorabend des Zweiten Weltkrieges auf jeden Fall verhindern. Aus diesem Grund führte er, mehrheitlich eigenmächtig, die sogenannte Erwerbsersatzordnung ein. Diese gewährte den Männern im Militärdienst einen Anteil des normalen Lohnes.

Die EO konnte nur aufgrund des im Zweiten Weltkrieg herrschenden Vollmachtenregimes so schnell eingeführt werden. Finanziert wurde die Erwerbsersatzordnung durch nationale Ausgleichskassen, welche wiederum von den Lohnbeiträgen der Soldaten, den berufstätigen Frauen und der in der Schweiz arbeitenden Ausländerinnen und Ausländern finanziert wurden. Der Bund beteiligte sich mit Subventionsbeiträgen. Der Bund eröffnete zusätzlich öffentliche Kassen, welche als Ergänzung dienten.

Die kriechend vorankommenden Sozialversicherungen

Der neue eidgenössische Staatswagen

Obwohl der Landesstreik 1918 von der Landesregierung rasch gebrochen werden konnte, flossen viele der Anliegen in den folgenden Jahren in die politischen Diskussionen ein. 1920 wurden die 48-Stunden-Woche eingeführt und die Gesetzesgrundlage für die Alters- und Hinterbliebenenversicherung (AHV) geschaffen. Jedoch blieb es vorerst bei der Gesetzesgrundlage, die Umsetzung in eine sozialstaatliche Altersvorsorge blieb aus, denn das Schweizer Stimmvolk lehnte 1931 die erste Gesetzesvorlage ab.

Während des Zweiten Weltkrieges debattierten die Parteien über die soziale Sicherheit der Zukunft. Der Erfolg der Erwerbsersatzordnung dank den Ausgleichskassen regte dazu an, das System weiterhin zu nutzen. Es ermöglichte Auszahlungen von Leistungen und schaffte zugleich die Bildung grosser staatlicher Reserven. Dadurch erhielt die Debatte über die AHV nach Ende des Zweiten Weltkrieges erneut Aufwind. Diverse Parlamentarier setzten sich für die Bildung der AHV ein. Zudem wurde die Solidarität der Schweizer Bürgerinnen und Bürger für die jungen Soldaten, welche im Zweiten Weltkrieg durch die EO finanziert wurden, nach dem Krieg auf die ältere Bevölkerung übertragen. Die Mittelschicht der stimmberechtigten Bevölkerung der Schweiz machte durch einzelne Vertreter als Sprachrohre auf ihre Anliegen aufmerksam. Sie beschwerten sich darüber, dass die Politiker der Schweiz im Vergleich zum Ausland die Sozialversicherungen nur sehr schleppend voranbrachten. Vergleichsweise hatte Deutschland diverse Sozialversicherungen bereits von 1883 bis 1889 eingeführt. Dabei war ebenfalls eine Altersversicherung gebildet worden. In der Schweiz wurde erst im Jahre 1912 die Vorlage für eine Unfall- und Krankenversicherung gutgeheissen.

Die Abbildung stellt die Sozialversicherungen der Schweiz als Wagen dar. Dieser Wagen wird von einer Schnecke gezogen und zugleich von drei sichtbar wohlhabenden Männern bewusst ausgebremst. Dazu werden Bremsklötze eingesetzt, welche das Ziehen des Wagens erschweren. Zusätzlich sind Seile an den Rädern befestigt sowie Ketten an den Achsen und zwischen die Speichen der Hinterräder wurde ein dicker Holzstab durchgeschoben. Als weitere Ausdrucksmöglichkeit wurde ein Gedicht unterhalb des Bildes angefügt. Darin steht:

«Dies Gefährt voll Russ und Rost
Ist die Bundes-Schneckenpost,
Die von Bremsern wohl geleitet,
Statt nach vorn, nach rückwärts gleitet.
Nie wird sie ihr Ziel erreichen.
Greifet selber in die Speichen!
Fasset an!
Das Ziel rückt nah
Durch ein tausendfältig Ja!»

Dabei wird der Bund als eine Schnecke dargestellt, welche durch die Elite falsch geleitet wird. Deswegen fordern die Gestalter der Karikatur das Schweizer Stimmvolk dazu auf, bei der bevorstehenden Abstimmung mit «JA» abzustimmen. Laut Recherche des Sozialarchives der Schweiz spielt die Abbildung auf die Abstimmung zur Einführung der AHV im Sommer 1947 an, welche mit über 80 Prozent Ja-Stimmen angenommen wurde.

Die Finanzierung der EO durch die Ausgleichskassen wurde als Modell und Grundlage für die AHV genutzt. Die entstandenen Reserven der EO verhinderten gar eine Steuererhöhung und unterstützten mit Beiträgen die Einführung der AHV. Somit legte die Bundesregierung während des Zweiten Weltkrieges durch das Nutzen des Notstandsrechtes die Grundlage für das bestehende Sozialwesen der Schweiz.

Quellenverzeichnis
Der Start des Zweiten Weltkriegs aus Sicht eines Zeitzeugen.
Baumgartner, A. (2021). Interview mit Albert Baumgartner, Schweizer Wehrpflichtiger im Zweiten Weltkrieg. St. Gallen.

Der Krieg als Katalysator der Armut in der Schweiz
o.A. (1917). Schweizer Notstandsaktion. In Keystone, Bild 425998. Zürich.

Der Krieg als Katalysator der Armut in der Schweiz
Kling-Jenny, C. (1917). Ausgabestelle und Esslokal Drei Rosen in Basel. In Staatsarchiv Basel-Stadt. Bild 13, 606.

Der Landesstreik als Höhepunkt der innerpolitischen Spannungen
Zentralvorstand der kons.-demokrat. Partei der Stadt Bern (1918). Aufruf der konservativ-demokratischen Partei Berns gegen den Landesstreik. In Schweizerisches Sozialarchiv. F Pc-0302. Online unter: https://www.bild-video-ton.ch/bestand/objekt/Sozarch_F_Pc-0302 (18.04.23).

Die kriechend vorankommenden Sozialversicherungen
o.A. (vermutlich ca. 1947). Der neue eidgenössische Staatswagen. Motiv auf Plakaten und Briefkarten. In Schweizerisches Sozialarchiv. F Pa-0002-020. Online unter: https://www.bild-video-ton.ch/bestand/objekt/Sozarch_F_Pa-0002-020 (18.04.23). Rechtsnachfolger konnte nicht ausfindig gemacht werden.

Die Generalmobilmachung im Zweiten Weltkrieg entreisst den Familien ihre Haupteinnahmequelle
Schweizerischer Bundesrat (1939). Mobilmachungsplakat Schweiz (Kriegsmobilmachung). Online unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Plakat_Kriegsmobilmachung_Schweiz_1939.tif (18.04.23).

Der Landesstreik als Höhepunkt der innerpolitischen Spannungen
Oltener Aktionskomitee (1918). Flugblatt des Streikkomitees zur Verhängung des allgemeinen Landesstreiks. Online unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Landesstreik_Streikaufruf_Seite_1.jpg (18.04.23).

Der Landesstreik als Höhepunkt der innerpolitischen Spannungen
Oltener Aktionskomitee (1918). Flugblatt des Streikkomitees zur Verhängung des allgemeinen Landesstreiks. Online unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Landesstreik#/media/Datei:Landesstreik_Streikaufruf_Seite_2.jpg (18.04.23).

Der Landesstreik als Höhepunkt der innerpolitischen Spannungen
Schweizer Armee (1918). Anschlag des Kommandanten der Ordnungstruppen in Zürich anlässlich des Landesstreiks von 1918. Online unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mahnung_Z%C3%BCrcher_Einwohnerschaft.jpg (18.04.23).

Sammelbibliographie
Abplanalp, A. (2021). Landesstreik 1918. Online unter: https://blog.nationalmuseum.ch/2018/11/landesstreik-1918/ (07.01.23).

Degen, B. (2012). Landestreik. Generalstreik 1918. Online unter: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016533/2012-08-09/ (07.01.23).

Geschichte der sozialen Sicherheit in der Schweiz (2014). Online unter: https://www.geschichtedersozialensicherheit.ch/synthese/1914-1918 (07.01.23).

Geschichte der sozialen Sicherheit in der Schweiz (2015). Online unter: Geschichte der Sozialen Sicherheit-Erwerbsersatzordnung (EO) (07.01.23).

Kaelbele, H. (2017). Mehr Reichtum, mehr Armut. Campus Verlag: Frankfurt/New York.

Kley, A. (2020). Vollmachtenregime. In Historisches Lexikon der Schweiz. Online unter: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010094/2020-10-06/ (07.01.23).

Obinger, H., Petersen, K., Starke, P. (2018). Warfare and Welfare. University Press: Oxford.

Meier, M. (2020). Von Notstand und Wohlstand. Chronos Verlag: Zürich.

Leimgruber, M., Lengwiler, M. (Hrsg.) (2009). Umbruch an der «inneren Front». Chronos Verlag: Zürich.

Moeckli, S. (2012). Den schweizerischen Sozialstaat verstehen. Rüegger Verlag: Zürich.

 

Die Autoren

Natanael Ritter

Silvan Kalberer

Andrin Baumgartner

Louis Angehrn

Lehrer-Login

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