Energie

Die Energiegeschichte der
modernen Schweiz

Vertiefung: Energiepolitische Veränderungen im Kanton St. Gallen
Die Energiegeschichte der modernen Schweiz lässt sich in vier Phasen unterteilen: Die Erste begann Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Steinkohle im Zuge der intensivierten Industrialisierung das Land eroberte. Um die Jahrhundertwende kam es mit der Stromgewinnung durch Wasserkraft und der zunehmenden Elektrifizierung zu einer zweiten Phase. Einen erneuten Wandel bzgl. Energieressourcen und -verbrauch brachten die 1950er/1960er Jahre: Mit der entstehenden Konsumgesellschaft explodierte der Energieverbrauch. Das Erdöl löste dabei die Kohle als primäre Energieträgerin ab. Strom wurde ab 1969 und dem Bau von „Beznau I“ auch durch Kernspaltung gewonnen. Während der letzten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts vollzog sich schliesslich ein energiepolitischer Paradigmenwechsel, der die gegenwärtige, vierte Phase der Schweizer Energiegeschichte begründet: Während die früheren Energieregimes den Energieverbrauch beförderten, zielt die gegenwärtige Energiepolitik auf dessen Reduktion ab.

Drei Gruppen wirkten – je nach Zeitpunkt und Motiven – in unterschiedlichem Masse auf die nationale Energiegeschichte ein: Zum einen waren dies (schon früh) privatwirtschaftliche Akteure, die sich für lukrative Projekte und Versorgungssicherheit interessierten. Zum anderen waren es Kräfte aus der Zivilgesellschaft, die für ihre privaten Interessen respektive ökologischen Ideale kämpften. Schliesslich prägte der Staat mit Gesetzen, Subventionen, aber auch eigenen Grossprojekten den energiegeschichtlichen Wandel – einer, der darüber hinaus wesentlich vom Ausland beeinflusst wurde – sei es von ausländischen Rohstoffen, ausländischem Geld, ausländischem Wissen oder von einschneidenden weltpolitischen Vorkommnissen.

Der energiegeschichtliche Wandel ist nicht einfach die „logische“ Folge wiederkehrender Erfindung von neuen und „besseren“ Technologien. Vielmehr ereignet er sich in einem komplexen sozioökonomischen Kräftefeld. Dies zeigt sich auch im Kanton St. Gallen, in dem energiepolitische Veränderungen in der Vergangenheit in sehr unterschiedlichem Tempo vollzogen wurden.

Heizkräftig! Billig! … und tiefschwarz

Werbeplakat für Gaskoks des Basler Gaswerks, um 1912

Werbeplakat, gestaltet von Max Dalang, für das Zürcher Gaswerk «Gaskoks», 1921
Werbeplakat für die Berner Firma J. Wyss «Kohlen – Benzin», 1930
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es zu einer grundlegenden Änderung: Kohle wurde zum primären Energieträger. Verantwortlich für diese erste „Energiewende“ der modernen Schweiz waren der Staat, der mit Gesetzen neue Rahmenbedingungen setzte, und privatwirtschaftliche Akteure, die kräftig investierten und damit ihren Kohlebedarf erhöhten. Neben Eisenbahn und Metallindustrie waren städtische Gaswerke wichtige Verbraucher von Kohle. Die oftmals halbprivaten, sprich von privaten Investoren und der öffentlichen Hand zugleich finanzierten Gesellschaften, produzierten aus Kohle Gas für städtische Beleuchtungen. Eine eher bescheidene Rolle spielte in der Frühphase der modernen Energiegeschichte der Schweiz die Zivilgesellschaft. Kohle wurde von den privaten Haushalten zunächst gar abgelehnt, da ihr Schmutz und Rauch Gesundheitsschäden verursachte. Erst ab 1900, nachdem Herde und Heizungen dem neuen Energieträger angepasst worden waren, konnte sich die Kohle allmählich durchsetzen.

Die oben abgebildeten Plakate stammen aus dieser Zeit des Siegeszugs der Kohle. Interessant ist, dass sie die charakteristische Schwärze des Rohstoffs nicht zu vertuschen versuchen. Im Gegenteil! Dass alles verrusst wird, ist offensichtlich Bestandteil des Allgemeinwissens, so dass nicht das Gegenteil behauptet werden kann. Kohle ist dunkel. Kohle ist schwarz.

Beim Plakat von ca. 1912 wird klar: Werben ist in dieser Frühphase der privaten Kohle-/Koks-Nutzung immer auch Informieren. Gaskoks ist ein Nebenprodukt der Gasherstellung, billiger als die mühsam abgebaute Steinkohle, jedoch mit geringeren Maximaltemperaturen. Die vier Behauptungen «ausgiebig», «billig», «heizkräftig» und «rauchlos» werden von zwei Bildern unterstützt. Im ersten Bild wird die Auslieferung gezeigt, im zweiten die Anwendung im Kontext einer einfachen Stube. Überraschend ist dabei für heutige Augen, wie unspektakulär die Bilder sind. Klar wird kommuniziert: Gaskoks bringt Wärme für die ganze Familie, auch wenn sie über wenig Geld verfügt. Der Kochtopf kann auch noch gleich auf den Herd gestellt werden.

Auch beim Plakat von 1921 wird deutlich, dass der Gaskoks als billiges und effizientes Heizmittel vor allem die breiten Massen ansprechen sollte. Die sich monumental auftürmenden Gaslagerungstürme signalisieren, dass die Kohle nie ausgehen wird. Interessanterweise ist dieses Plakat vom Grafiker Max Dalang gestaltet, welcher hauptsächlich für seine Aushänge für glanzvolle Zürcher Nobelcafés berühmt wurde.

Das dritte Plakat stammt von 1930. Auch wenn dessen Hintergrund weiss ist, erkennt man eine Unreinheit, als ob das Plakat von jemandem aufgehängt worden sei, der zuvor einen Kohlesack in den Händen gehalten hatte. Das Plakat kündigt implizit  eine spätere Phase  der Energiegeschichte der Schweiz an: Der Kohle wird nun das Benzin gegenübergestellt, wobei der Kohlesack noch deutlich grösser ist als der Benzinkanister. Gut zwanzig Jahre später wären die  Grössenverhältnisse der zwei Energieträger wohl umgekehrt dargestellt worden.

Kohle und Strom unter dem Sitterviadukt

Das Kubelkraftwerk im st. gallischen Sittertobel zeigt, wie schnell ein energiewirtschaftliches Projekt im ausgehenden 19. Jahrhundert realisiert werden konnte. An der Stelle, wo die Urnäsch in die Sitter mündet, stand 1890 eine Papiermühle, für deren Kauf sich der Immobilienhändler Eduard Hohl aus St. Gallen und der Wiener Bankier Lucien Brunner interessierten. 1895 gründeten sie das „Initiativkomitee Elektrizitätswerk Kubel AG“ mit dem Ziel, die Mühle durch das erste Speicherkraftwerk der Schweiz zu ersetzen. Zuvor waren zur Elektrizitätserzeugung hierzulande nur fliessende Gewässer genutzt worden. Nun sollte mit Hilfe einer Gewichtsstaumauer erstmals ein Stausee für die Stromgewinnung erschaffen werden. Der Widerstand gegen das Projekt war bescheiden und so konnten  Gübsensee und Kubelkraftwerk zeitnah zwischen 1898 und 1900 gebaut werden.

Die beiden rechts abgebildeten Postkarten zeigen uns das Kubelkraftwerk. Sie stammen von 1903 und 1910 und liegen somit nur sieben Jahre auseinander. Die zeitliche Differenz ist gering, sie führt aber dazu, dass der industrielle Fortschritt in St. Gallen auf unterschiedliche Art und Weise inszeniert wird. Während die erste Ansichtskarte das Kubelkraftwerk ins Zentrum setzt und damit die Innovation im Energiesektor, fokussiert die zweite Ansichtskarte das 1910 erbaute Sitterviadukt der Südostbahn (SOB). Das Sitterviadukt der SOB war eine verkehrstechnische Meisterleistung und ist bis heute die höchste Eisenbahnbrücke der Schweiz. Das Gebäude des Kraftwerkes ist trotz elektrischen Betriebs mit einem Kamin versehen, welcher auf frühere Verbrennungsprozesse hinweist und vermutlich noch aus der Zeit des Gebäudes als Papiermühle stammt.

Postkarte des Kubelkraftwerks St. Gallen, 1903

Postkarte der Bodensee-Toggenburg-Bahn, 1910

Im Kontrast zur einheimischen Stromproduktion durch das Kubelkraftwerk stehen die durch Kohlebetriebenen Eisenbahnen auf den Viadukten. Die Eisenbahn eröffnete den Menschen des 19. Jahrhunderts einerseits neue Möglichkeiten der Mobilität zwischen Städten und Ländern. Andererseits ermöglichte sie die flächendeckende Verbreitung des Rohstoffes Kohle. Nur dank der Eisenbahn konnte die im Ausland geförderte Kohle als Rohstoff einen solchen Durchbruch erleben und bis in alle Teile der Welt transportiert werden, so auch nach St. Gallen. Wie bei der Verbreitung der Kohle spielte die Eisenbahn auch beim Aufbau der Elektrizitätsinfrastruktur eine entscheidende Rolle: Die Eisenbahn brachte ausländisches Kapital und Knowhow ins Land, im Fall des Kubelkraftwerks nach St. Gallen. Am Kubelkraftwerk wirkten  Ingenieure und Geldgeber aus aller Welt mit. Es ist somit ein Beleg dafür, dass die Energiegeschichte St. Gallens und der ganzen Schweiz nicht ohne Berücksichtigung ausländischer Einflüsse geschrieben werden kann.

An den Ansichtskarten lassen sich also verschiedene Charakteristika des industriellen Kosmos der (Ost-)Schweiz zur Jahrhundertwende festmachen: Die grosse Bedeutung der Eisenbahn, die Verbindungen ins Ausland, der Stolz auf innovative Infrastrukturen. Die Gleichzeitigkeit von dampfenden Lokomotiven und stromproduzierendem Kubelwerk verweist nicht zuletzt darauf, dass das Energieregime der Kohle und jenes der Elektrizität für lange Zeit parallel zueinander bestehen sollten. Wenn mit der Verbreitung der Elektrizität ab der Jahrhundertwende von einer zweiten Phase der Schweizer Energiegeschichte die Rede ist, bedeutet dies nicht, dass die Kohle als primärer Energieträger abgelöst worden wäre. Diese Entwicklung fand erst in den 1950er Jahren statt.

Elektrisches Licht bringt den Tourismus zum Strahlen

Werbeplakat für die Touristenattraktion «Giessbach», 1912

Mit dem ersten schweizerischen Wechselstromkraftwerk im Jahr 1886 begann die zweite Phase der Schweizer Energiegeschichte. Neben den Energieträger «Kohle» trat die Elektrizität, was sich auch im links abgebildeten Werbeplakat aus dem Jahr 1912 niederschlägt. Das Plakat zeigt ein idyllisches Nobelhotel am Brienzersee, zwischen Emmentaler und Berner Alpen. Fast schon märchenhaft wirkt die abgebildete Natur mit dem Mond, den Alpen im Hintergrund und dem prächtigen Giessbach. Jedoch wird hier nicht nur mit der Pracht der Natur geworben, sondern auch mit der Beleuchtung des Giessbaches. Jeden Abend können Touristen das Naturphänomen des Wasserfalls im neuen Glanz des elektrischen Lichts bewundern.

Das elektrische Licht war zur Jahrhundertwende und bis ins frühe 20. Jahrhundert ein exklusives, luxuriöses Gut und wurde zunächst vor allem im Tourismusbereich vielfältig eingesetzt. So war es in St. Moritz, wo 1879 das erste elektrische Licht der Schweiz im Speisesaal des Hotel Kulms erstrahlte, nachdem der Visionär Johannes Badrutt beeindruckt von der Pariser Weltausstellung zurückgekehrt war. Gleich neben seinem Hotel im Oberengadin liess er ein kleines Kraftwerk bauen.

Bestehende Attraktionen wurden durch das elektrische Licht neu erfunden und dadurch noch besser vermarktet. Das vorliegende Plakat suggeriert, dass erst die Technologie in Form des elektrischen Lichts die Natur richtig zum Strahlen bringt. Damit inszeniert es gewissermassen  eine Versöhnung von Moderne und Natur. Während in Wirklichkeit die moderne Lichtverschmutzung dem romantischen Sternenhimmel zunehmend den Garaus bereitet, ergänzen sich auf dem Plakat die Gestirne und das elektrische Licht harmonisch.

Noch heute steht das märchenhafte «Grandhotel Giessbach» an gleicher Stelle und der Giessbach wird nach wie vor mittels Scheinwerfer in Szene gesetzt.

Die Zielgruppe verändert die Werbung

Der Entstehungszeitraum der abgebildeten Plakate ist signifikant. Alle drei wurden während des  Ersten Weltkriegs oder unmittelbar davor gedruckt: Der schnelle Aufstieg der Kohle hatte im ausgehenden 19. Jahrhundert zu einer energiewirtschaftlichen Auslandsabhängigkeit geführt, die sich in der Folge besonders während der beiden Weltkriege bemerkbar machte. In Zeiten der Kohleknappheit wurde die Wasserkraft zur „weissen Kohle“ umgedeutet und deren verstärkte Nutzung für die Stromproduktion propagiert. Wohl hatte das elektrische Licht nach dem frühen touristischen Einsatz ab der Jahrhundertwende auch Einzug in Gewerbe und Industrie gehalten. Die Privathaushalte mussten aber zuerst vom Wechsel zur unbekannten, gefährlich scheinenden Energie überzeugt werden. Die Plakate sind Ausdruck davon.
Werbeplakat für das Elektrizitätswerk Bern, 1913

Das Plakat des Elektrizitätswerks Bern von 1913 zeigt den Komfort der elektrischen Heizung. Ein älterer Herr muss nicht mühsam mit Holz und Kohle herumhantieren – er kann sich im Ohrensessel zurücklehnen und einfach den Stecker einstecken. Elektrizität ist simpel, man wird angewiesen, sie in der Übergangszeit zu benutzen. Behaglichkeit wird grossgeschrieben: Der Tee dampft, die Heizung ist ganz nah, der Mann scheint sogar einen Hausmantel zu tragen. Der Alte ist alleine dargestellt, die elektrische Heizung ist für ihn etwas ganz Alltägliches. Der schwarze Hintergrund signalisiert erstens, dass sich die Szene abends in der nur schwach beleuchteten Stube abspielt. Zweitens ist das Heizen in der Erscheinungszeit des Plakates noch stark mit dem Gebrauch von Kohle und damit der Farbe «Schwarz» assoziiert. Womöglich wurde Elektrizität ihrerseits von den Zeitgenossen noch stark mit glamourösen, aufregenden Touristenattraktionen in Verbindung gesetzt und entsprechend als Luxusgut wahrgenommen. Die Szene ist fast aggressiv banal, die Werber scheinen sich bewusst wegzubewegen vom exklusiven Image der Elektrizität.

Werbeplakat für «Elektrische Licht- Stark- & Schwachstrom Anlagen - S. Mazzanti, Zürich», 1915

Ganz andere Signale setzt das Zürcher Werbeplakat von 1915. Hier steht die Elektrizität (noch) für etwas fast Göttliches, Ekstatisches, Wunderbares. Das Plakat wirbt für Starkstromanlagen, nicht für häusliche Wohnlichkeit. Die Zielgruppe ist eine andere. Angesprochen werden nun die Fabrikanten – männlich und wohlhabend. Sie sollen nicht von einer behaglichen Elektrizität überzeugt werden, sondern von einer machtvollen und erotisch aufgeladenen.

Werbeplakat für das Elektrizitätswerk Bern, 1916

Das Plakat des Elektrizitätswerks Bern von 1916 befasst sich mit einer ähnlichen Thematik wie jenes von 1913.  Die Elektrizität soll Einzug in private Haushalte halten, die komfortable, ungefährliche Anwendung wird verkauft. Der Appeal der Elektrizität ist beim Plakat von 1916 aber wieder ein neuer: Im Gegensatz zu den vorherigen Plakaten wird nun die Reinheit der neuen Energie verkauft. Sie ist weiss und unbefleckt wie der Idealtyp einer jungen bürgerlichen Frau. Verkauft wird mit der dargestellten Szene eine bürgerliche Phantasie – die «weisse Kohle» erlaubt eine neue, reine Welt.

Explosion des Energieverbrauchs nach 1950

Grafik des Bundesamts für Energie BFE

Die Statistik zum Schweizer Energieverbrauch von 1910 bis 2017 zeigt eindrücklich das explosionsartige Anwachsen des Energieverbrauchs ab den 1950er Jahren, das erst mit der «Ölkrise» von 1973 ein erstes Mal zum Stoppen kommt. Der Energieverbrauch wächst nach den turbulenten 1970er Jahren bis zum Ende der 2000er Jahre weiterhin leicht an, wobei angesichts des starken Bevölkerungswachstums (1980: 6.37 Millionen Einwohner; 2016: 8.42 Millionen Einwohner) der Pro-Kopf-Verbrauch der letzten Jahrzehnte rückläufig ist.

Die Anteile der einzelnen Energieträger veränderten sich seit 1910 augenscheinlich stark: Bis zum Zweiten Weltkrieg war Kohle der dominante Energieträger. Der schnelle Aufstieg der Kohle im ausgehenden 19. Jahrhundert hatte zu einer energiewirtschaftlichen Auslandsabhängigkeit vor allem von Deutschland geführt, die sich insbesondere während der beiden Weltkriege bemerkbar machte. Ersichtlich wird dies an den Einbrüchen des Kohleverbrauchs während der Kriegszeiten, vor allem in den frühen 1940er Jahren, als der Import von Kohle erschwert war.

An Gewicht gewann in den Kriegsjahren derweil die Elektrizität, die sich in den Privathaushalten während des ersten Drittels des Jahrhunderts nur schleppend verbreitet hatte. Obwohl die Stromproduktion ab den 1930er Jahren mit Wasserkraftgrossprojekten kontinuierlich ausgebaut worden war, war es nicht die Steckdose, welche den Kohlekeller als primäre

Energiequelle in der Schweiz ablöste. Diese Rolle kam dem Erdöl und seinen Derivaten zu. Öl und Treibstoffe wie Benzin und Diesel gewannen ab 1956 stark an Bedeutung und wurden durch den Pipelinebau und neue Gesetze vom Bund unterstützt. Die Politik veränderte somit den Rahmen, Handel und Vertrieb des Erdöls lagen aber in den Händen der Privatwirtschaft mit ihren internationalen Kontakten. Wichtig für den Siegeszug des Erdöls war schliesslich die affirmative Haltung der Zivilgesellschaft, die davon profitierte, dass Erdöl einfacher in der Handhabung war und weniger Schmutz im Haushalt verursachte als die Kohle. Steuervergünstigungen wie der Pendlerabzug oder der forcierte Ausbau des Strassennetzes vom Bund trugen aber ebenfalls direkt und indirekt zur Energieexplosion bei.

Die 1970er Jahre brachten die endgültige Marginalisierung der Kohle als Energieträger. Derweil wuchs die Stromproduktion mit dem Bau von Kernkraftwerken nochmals stark an, wobei auch der Verbrauch von Erdgas an Bedeutung gewann. Seit den späten 1970er Jahren wurde erstmals auch Energie aus anderen erneuerbaren Quellen als Wasserkraft statistisch erfasst. Ab 1978 war dies die aus Abfällen und Fernwärme gewonnene Energie, ab 1990 war es auch die Energie aus Sonne, Biogas usw. Zwischen 1990 und 2017 stieg der Anteil der erneuerbaren Energien (ohne Wasserkraft) am Gesamtenergieverbrauch von 2.9 % auf 7 %. Im gleichen Zeitraum halbierte sich der Anteil der Erdölbrennstoffe von 30.7 % auf 15.1 %.

Atomkraft: Der unheimliche Helfer

Plakat für den zweiten internationalen Salon zur friedlichen Anwendung der Atomenergie,  Genf 1958
Die Atomenergie galt in den 1950er Jahren als saubere Alternative zu Kohle, Erdöl und Wasserkraft. Im Vergleich zum Erdöl versprach einheimischer Atomstrom eine geringere Auslandsabhängigkeit Auch im Vergleich zur Wasserkraftnutzung erschien Atomenergie auf den ersten Blick attraktiv, denn die entsprechenden Produktionsanlagen hinterlassen geringere Spuren im Landschaftsbild und haben daher weniger Konflikte mit dem Heimat- und Landschaftsschutz zur Folge.

Diesen optimistischen Geist atmet das abgebildete Plakat zum zweiten internationalen Salon zur friedlichen Anwendung der Atomenergie, der 1958 in Genf durchgeführt wurde:  „L’atome pour la paix“ – Das Atom für den Frieden. Es deutet an, welch grosses Potenzial der neuen Technologie zugeschrieben wurde. Der Plakat-Titel greift einen Ausspruch des  US-amerikanischen Präsidenten Dwight D. Eisenhower aus einer Rede vor der UN-Vollversammlung von 1953 auf. Zunächst bekannt für ein unheimliches militärisches Zerstörungspotenzial, wurde die Atomkraft schon bald als friedensstiftende Energieform angesehen. Das Plakat stellt die Atomenergie in dieser Linie als Schlüssel für eine friedliche und gesicherte Energieversorgung der Zukunft dar.

«Antenne» vom 9.9.1970 von SF DRS zum «Tag der offenen Türe im AKW Mühleberg»
Nach Beznau I und II (1969 und 1971) wurde 1972 auch das AKW Mühleberg ans Netz angeschlossen. Wie der Ausschnitt aus der SF DRS-Sendung „Antenne“  vom 9.9.1970 zeigt, gab es für die Bevölkerung die Möglichkeit, das Atomkraftwerk vor der eigentlichen Eröffnung zu besichtigen. Im Film selbst ist von einer Anlage die Rede, welche den wenigsten ganz geheuer war: So sagte ein Besucher des AKW Mühlebergs im Video: „Bevor das Ganze in die Luft fliegen sollte, möchte ich doch einmal darin gewesen sein.“ Angesichts der  anfänglichen Atomstrom-Euphorie in der Schweiz mag das erstaunlich klingen.  Der Kommentar zeigt deutlich, dass 1970 die Euphorie über den Atomstrom verstrichen war und sich Unsicherheiten bezüglich der Atomenergie breitmachten. Die Problematik der Entsorgung radioaktiver Abfälle und die nicht absehbaren Folgen dieser neuen Technologie zeigten in diesen Jahren auf, dass Atomenergie nicht unbedingt die „sauberste“ und „sicherste“ Energie war. In den folgenden Jahren formierte sich eine starke Anti-AKW-Bewegung, die sich durch die Reaktorunfälle  von Harrisburg (1979) und Tschernobyl (1986) bestätigt sah.

Die neue Losung: Energie sparen!

Das Plakat des Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement stammt aus dem Jahr 1979. Seine grelle, farbige Schrift wird im Verlauf des Satzes immer dunkler und endet im unleserlichen Nichts. Die Botschaft für die Leserinnen und Leser ist naheliegend: Wie der Satz könnte auch die Schweiz in der grossen Dunkelheit enden, wenn nicht zunehmend Energie gespart würde. Das Plakat wurde entwickelt, um die Bürgerinnen und Bürger dafür zu sensibilisieren, was ihr Konsumverhalten bedeuten könnte. Es ist Ausdruck der aktuellen vierten Phase der Schweizer Energiegeschichte, in der es nicht mehr darum geht, mehr Energie zu produzieren (und zu importieren), sondern darum, den Energieverbrauch zu reduzieren (und die Energieproduktion zu modifizieren). Bemerkenswert ist dabei, dass bei diesem jüngsten Wandel der Energiegeschichte der modernen Schweiz zum ersten Mal die Zivilgesellschaft als Motor fungierte. So waren es die neuen Umweltbewegungen, die ab den 1970er Jahren lautstark die Abkehr von Atomstrom und (etwas später) Erdöl propagierten. Bund und Privatwirtschaft zogen etwas später nach, wobei das Plakat belegt, dass der Bund erste Kampagnen bereits Ende der 1970er Jahre lancierte.
Plakat des Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartements, 1979
«Tagesschau» von SF DRS vom 24.10.1988 zur Energiesparkampagne «Bravo» von Bundesrat Adolf Ogi
Neun Jahre später lancierte der Bund die Energiesparkampagne «Bravo», von welcher der oben verlinkte Tagesschau-Ausschnitt handelt. Bundesrat Adolf Ogi tritt hier als umsichtiger Eier-Koch mit praktischen Tipps auf und betont dabei, dass das Energiesparen  erst auf freiwilliger Basis stattfinden soll, bevor Energievorschriften den Konsum regeln würden. Begleitet wurde die Kampagne «Bravo» von weiteren Aktionen: Beispielsweise zeigten die EKZ (Elektrizitätswerke des Kanton Zürich) landesweit eine Ausstellung zum Thema «Heb au em Strom Sorg» und die CKW (Centralschweizerische Kraftwerke) starteten, angelehnt an Ogi, einen Aufruf zur Pfannenreparatur. In der neuen Politik von Bund und Elektrizitätsgesellschaften zeigt sich eindrücklich das Ausmass des Regimeumbruchs. 1990 wurde schliesslich der Energieartikel in der Bundesverfassung verankert, welcher eine ausreichende, breit gefächerte, sichere, wirtschaftliche und umweltverträgliche Energieversorgung sowie eine sparsame und rationelle Einteilung des Energieverbrauchs festlegte. Parallel dazu wurde das Investitionsprogramm «Energie 2000» gestartet, das unter anderem Gebäudesanierungen und alternative Energiequellen förderte.

Grafik des Bundesamts für Energie BFE, 2018

Die mithilfe einer Banane illustrierte Übersicht über die Schweizer Energieproduktion im Jahr 2017 zeigt schliesslich, dass den politischen Massnahmen zur Förderung erneuerbarer Energie bislang überschaubarer Erfolg beschieden ist. Über die Hälfte der Elektrizität wird 2017 wohl mit Wasserkraft erzeugt. Aber mehr als ein Drittel des Schweizer Stroms wird noch immer aus nicht erneuerbaren Energiequellen gewonnen. Nur knapp 6.4 %machen  erneuerbare Quellen wie Sonne und Abfall aus. Die  Statistik deutet den Willen zur Umstellung an, zeigt aber auch  den weiten Weg, der noch vor uns liegt.

Das Scheitern des Geothermie-Projekts St. Gallen

Eine heisse Zeit waren die Jahre während der Umsetzung des Geothermie-Projektes in St. Gallen tatsächlich. In einer Machbarkeitsstudie und ersten seismischen Messungen in den Jahren 2009/10 wurden die Erfolgschancen des Projektes für Heisswasserfund als vielversprechend eingestuft. In den Gesteinsschichten von Malm- und Muschelkalk wurde eine erhebliche Störungszone mit Heisswasser festgestellt und die Wahrscheinlichkeit als sehr hoch eingeschätzt, diese Gesteinsschicht und somit Heisswasser im Sittertobel zu erreichen.

Das ganze Projekt zielte darauf ab, aus dem Wasser tiefer gelegener Erdschichten Wärmeenergie zu entziehen. Die geographische Lage erschien vielversprechend, die Finanzierungsbasis war vorhanden und das Konzept entsprach dem Zeitgeist. Dennoch scheiterte das Projekt. Ende Juli 2013 kam es zu unerwarteten Erdbeben, welche die Ausgangslage veränderten. Aufgrund eines erhöhten Erdbebenrisikos, des finanziellen Risikos der Stadt sowie des zu geringen Fundes an Heisswasser beschloss der Stadtrat im Jahr 2014, das Projekt zu beerdigen. Das schnelle Ende illustriert beispielhaft, dass die Energiegeschichte kein Automatismus ist.

Buchcover von „Heisszeit: Das St. Galler Geothermie-Projekt» von
Michael Breu, 2015
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Quellenverzeichnis

Heizkräftig! Billig! … und tiefschwarz
Mangold, B. (um 1912). Basler Gaskoks – Für Zimmeröfen und Zentralheizungen. Foto: Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung ZHdK. Online unter: https://www.emuseum.ch/objects/28483/basler-gaskoks–fur-zimmerofen-und-zentralheizungen (07.08.2019).

Dalang, M. (1921). Gaskoks – Heizkräftiges, rauchloses und billiges Brennmaterial – sehr geeignet für Zentral- & Etagenheizungen (…) – Gaswerk. Foto: Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung ZHdK. Online unter: https://www.emuseum.ch/objects/62910/gaskoks–heizkraftiges-rauchloses-und-billiges-brennmateri (07.08.2019).

Laubi, H. (1930). Kohlen – Benzin – J. Wyss & Cie. AG Bern. Foto: Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung ZHdK. Online unter: https://www.emuseum.ch/objects/72114/kohlen–benzin–j-wyss–cie-ag-bern (07.08.2019). Mit freundlicher Genehmigung von B. Laubi.

Kohle und Strom unter dem Sitterviadukt
Postkarte des Kubelkraftwerks St. Gallen (1903) In Ziegler, E. (1979). Kutschen, Tram und Eisenbahn. 75 Postkarten aus der Sammlung Kurt Kühne. St. Gallen: VGS Verlagsgemeinschaft.

Postkarte der Bodensee-Toggenburg-Bahn (1910). Staatsarchiv St. Gallen, ZMA 18/01.13-15

Elektrisches Licht bringt den Tourismus zum Strahlen
Studer, F. (1912). Giessbach – Am Brienzersee – Au Lac de Brienz – Beleuchtung der Fälle jeden Abend. Foto: Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung ZHdK. Online unter: https://www.emuseum.ch/objects/12950/giessbach–am-brienzersee–au-lac-de-brienz–beleuchtung (07.08.2019).

Die Zielgruppe verändert die Werbung
Kopp, M. (1913). Elektrizitätswerk Bern – Heize elektrisch in der Übergangszeit Foto: Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung ZHdK. Online unter: https://www.emuseum.ch/objects/176874/elektrizitatswerk-bern–heize-elektrisch-in-der-ubergangsze (07.08.2019)

Elektrische Licht- Stark- & Schwachstrom Anlagen – S. Mazzanti – Zürich 7. Foto: Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung ZHdK. Online unter: https://www.emuseum.ch/objects/149000/elektrische-licht-stark–schwachstrom-anlagen–s-mazzan (07.08.2019)Mit freundlicher Genehmigung des Museum Bickel Walenstadt.

Wunderli & Peter (1916). Elektrizitätswerk Bern – Bügle elektrisch. Foto: Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung ZHdK. Online unter: https://www.emuseum.ch/objects/176906/elektrizitatswerk-bern–bugle-elektrisch (07.08.2019).

Explosion des Energieverbrauchs nach 1950
Grafik des Bundesamts für Energie BFE „Energieverbrauch 1910 – 2017“ (2018). BFE, 2015/Layout: heyday. Online unter: https://www.12energy.ch/ (07.08.2019).

Atomkraft: Der unheimliche Helfer
Chuard (1958). L’atome pour la paix – 2me salon international des applications pacifiques de l’énergie atomique – Genève – Palais des Expositions 1958. Foto: Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung ZHdK. Online unter https://www.emuseum.ch/objects/109380/latome-pour-la-paix–2me-salon-international-des-applicati (07.08.2019).

«Antenne» vom 9.9.1970 zum «Tag der offenen Türe im AKW Mühleberg». © Schweizer Radio und Fernsehen. Online unter: https://www.youtube.com/watch?v=W-u3TUikZ_g (07.08.2019).

Die neue Losung: Energie sparen!
Babst, M., Zürich, H. (1979). Wenn wir keine Energie sparen, werden wir bald einmal ni. Foto: Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung ZHdK. Online unter: https://www.emuseum.ch/objects/176862/wenn-wir-keine-energie-sparen-werden-wir-bald-einmal-ni (07.08.2019). @UVEK/BFE

«Tagesschau» vom 24.10.1988 zur Energiesparkampagne «Bravo» von Bundesrat Adolf Ogi. © Schweizer Radio und Fernsehen. Online unter: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/energiesparkampagne-bravo?id=b0f5aead-f84a-477b-bf31-571cd1081bff&station=69e8ac16-4327-4af4-b873-fd5cd6e895a7 (07.08.2019).

Grafik des Bundesamts für Energie BFE „Elektrizitätsproduktion in der Schweiz 2017“ (2018). BFE, 2015/Layout: heyday. Online unter: https://www.12energy.ch/ (07.08.2019).

Das Scheitern des Geothermie-Projekts St. Gallen
Breu, M. (2015). Heisszeit: Das St. Galler Geothermie-Projekt (Buchcover). St. Gallen: VGS Verlagsgenossenschaft St. Gallen. Fotonachweis: „Quelle: Stadt St.Gallen / St.Galler Stadtwerke, 2013“

Sammelbibliografie
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Bundesamt für Energie (Hrsg.) (2016). Energeia. Magazin des Bundesamtes für Energie BFE. Nr. 6.

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Ditt, K. (2011). Zweite Industrialisierung und Konsum: Energieversorgung, Haushaltstechnik und Massenkultur am Beispiel nordenglischer und westfälischer Städte 1880-1939. Serie: Forschungen zur Regionalgeschichte. Bd. 65. Paderborn: Ferdinand Schöningh, S. 760 – 768.

Frey, F. (2019). Elektrizität aus dem Sittertobel. Das Kraftwerk Kubel als Produkt und Motor gesellschaftlicher Auseinandersetzungen (1890 – 1900). In Gemeinnützige Gesellschaft des Kantons St. Gallen (Hrsg.). Eine Geschichte der St. Galler Gegenwart – Sozialhistorische Einblicke ins 19. und 20. Jahrhundert (S. 93 – 114). St. Gallen: VGS Verlagsgenossenschaft St. Gallen.

Gugerli, D. (Hg.) (1994) Allmächtige Zauberin unserer Zeit. Zur Geschichte der elektrischen Energie in der Schweiz. Zürich: Chronos.

Gugerli. D. (1996). Redeströme. Zur Elektrifizierung der Schweiz 1880 – 1914. Zürich: Chronos, S. 301 – 308.

Kander, A.; Malanima, P.; Warde, P. (2015). Power to the people – energy in Europe over the last five centuries. Princeton/Oxford: Princeton University Press, S. 1 – 13; 366 – 386.

Kupper, P.; Pallua, I. (2016). Schlussbericht Energieregime in der Schweiz seit 1800. In Auftrag gegeben von Bundesamt für Energie BFE.

Riederer, P. (1952). Die Elektrizitätsversorgung der Stadt St. Gallen. St. Gallen, S. 133 f.

St. Galler Stadtwerke (Hrsg.) (1997). 100 Jahre Strom in St. Gallen.

Wissenschaftliche Kommission der Sankt-Galler Kantonsgeschichte (Hrsg.) (2003). Die Zeit des Kantons 1861 – 1914. Bd. 6. St. Gallen: Amt für Kultur des Kantons St. Gallen, S. 33 – 36.

Die Autorinnen

Maria Benz
Loretta Isler
Anastasia Feiler

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