Geschlechtergeschichte
Vertiefung: Die Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit (SAFFA)

Die Industrielle Revolution brachte nicht nur eine tiefgreifende wirtschaftliche Veränderung mit sich, sondern beförderte auch einen breiten gesellschaftlichen Wandel und war mit ein Grund für den Aufstieg der bürgerlichen Gesellschaftsschicht. Deren Familienideal und die damit verbundenen Vorstellungen der geschlechterspezifischen Rolle von Frau und Mann erlangten im 19. Jahrhundert eine breite gesellschaftliche Prägekraft. Die duale bürgerliche Geschlechterordnung sah getrennte Wirkungsfelder für Frau und Mann vor. Die Frau sollte hauptsächlich für die Erziehung der Kinder und den Haushalt zuständig sein, während der Mann Erwerbsarbeit leisten sollte. Der Anspruch des vorherrschenden Rollenideals und die Realität klafften hingegen oft auseinander. So war es insbesondere für Familien aus der Arbeiterschicht nicht möglich, dem bürgerlichen Familienideal zu entsprechen, denn sie waren auf zwei Einkommen angewiesen. Zugleich übten die Frauen ihre Erwerbstätigkeit vermehrt ausserhalb des eigenen Wohnbereichs aus. Frauen reagierten auf diese gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und damit verknüpften Spannungsfelder und organisierten sich in vielen, oft kommunalorientierten Frauenvereinen. Diese Gründungswelle der Frauenbewegung Ende des 19. Jahrhunderts wurde einerseits – vor allem auf nationaler Ebene – durch Erweiterung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Zuge der Totalrevision der Bundesverfassung von 1874 (z.B.: Arbeiterinnenschutz), andererseits durch die Entwicklungen und Fortschritte der Frauenbewegungen Englands und Deutschlands beeinflusst.

Die zur frühen Frauenbewegung gehörenden Vereine entstammten verschiedenen gesellschaftlichen Milieus und vertraten unterschiedliche emanzipatorische Ziele. So vertraten religiös-moralisch argumentierende Sittlichkeitsvereine ganz andere Anliegen als beispielsweise Arbeiterinnenvereine. Das breite Spektrum der Vereine und deren Motive widerspiegelten auch unterschiedliche Frauenbilder. Die bürgerliche Frauenbewegung etwa lehnte das duale Rollenbild nicht per se ab, machte sich aber für berufstätige Frauen stark und forderte das Stimm- und Wahlrecht für Frauen. Ihre Haltung widerspiegelte sich in den beiden schweizerischen Ausstellungen für Frauenarbeit (SAFFA) von 1928 und 1958.

Gefragte Frauenhände

Frauen an der Arbeit in einer Gemüserüsterei von Maggi (um 1900)

Dieses Bild, welches die MAGGI-Fabrik in Kemptthal zeigt, widerspiegelt den Geist der Industrialisierung, welche zum Ende des 18. Jahrhunderts, von Grossbritannien ausgehend, auf andere Teile Westeuropas und der Welt übergriff. Im Zusammenspiel mit anderen Faktoren wie etwa der Ideenwelt der Aufklärung beförderte sie nicht nur wirtschaftliche, sondern auch breite gesellschaftliche Veränderungen. Die Entstehung von Fabriken trieb die Entflechtung von Wohn- und Arbeitsort voran.

Auch Frauen waren in industrielle Arbeitsprozesse integriert. Einige Industriesparten – so gerade auch die Nahrungsmittelindustrie – setzten Frauen besonders gerne ein. Ganz im Sinne des vorherrschenden Rollenbildes, das den Frauen mit der häuslichen Sphäre assoziierte, wurden Frauen als prädestiniert erachtet, die an «Hausarbeiten» angelehnten Tätigkeiten, wie dies das Gemüserüsten war, nun in einer professionalisierten und von ihrem Wohnort abgekoppelten Fabrik zu verrichten. Die in langen Schürzen gekleideten Frauen präparieren in der Fabrik in Kemptthal in Akkordarbeit Hülsenfrüchte, welche als Hauptzutat für das von MAGGI vertrieben Leguminosenmehl diente. Dies war der Grundstein einer erfolgreichen internationalen Karriere der Marke, die unter der heutigen Führung von Nestlé immer noch Bestand hat.

Insbesondere für Familien aus der Arbeiterschicht war es essenziell, dass beide Ehepartner zum Einkommen beitrugen. Für die Arbeiterinnen resultierte dies oft in einer starken Mehrfachbelastung, da ihnen auch die Haushaltsführung und Kindererziehung zugewiesen wurde. Julius Maggi, der 1872 das Unternehmen J. Maggi & Cie gründete, strebte laut eigenen Aussagen die Verbesserung der Nahrung der Fabrikarbeiter an, indem die schnelle Zubereitung der dargebotenen Suppen eher dem aufkommenden Bedürfnis der vielbeschäftigten Arbeiterklasse entsprach. Er war nicht der einzige Unternehmer, der vorwiegend Frauen einstellte. Insbesondere auch in der Textilbranche waren Frauenhände sehr gefragt. Frauen waren aber ausschliesslich als Arbeiterinnen tätig, wie dies auch auf der Fotografie zu erkennen ist. Die Frauen arbeiten an ihren Tischen. Die Leitung und Kontrolle oblag hingegen Männern. Diese sind in der oberen rechten Ecke der Fotografie zu erkennen. Um Gewicht innerhalb von Unternehmen zu erlangen, schlossen sich viele Frauen zu sogenannten Arbeiterinnenvereinen zusammen. Zu den vertretenen Interessen gehörte etwa der Arbeitsschutz.

England – der Schweiz weit voraus!

Bundesgesetz betreffend die Arbeit in den Fabriken von 1877

Aufgrund der ökonomischen Situation waren insbesondere Arbeiterfamilien auf zwei Einkommen angewiesen. Zugleich führte das vorherrschende Rollenverständnis dazu, dass von den Arbeiterinnen auch die Betreuung der Familie sowie die Führung des Haushaltes erwartet wurde. Die Arbeiterinnen litten stark unter dieser Mehrfachbelastung. Organisierte Arbeiterinnen forderten nicht nur Gleichstellung innerhalb, sondern auch ausserhalb der Familie. Im Gegensatz zu England, welches bereits 1833 einen Arbeiterschutz eingeführt hatte, fehlte für die Eidgenossenschaft ein solcher noch für mehrere Jahrzehnte. Erst 31 Jahre später erliess der Kanton Glarus ein Arbeiterschutzgesetz, welches wegweisend für die ganze Schweiz werden sollte. Dieses Gesetz regelte erstmalig die Beschäftigung von Erwachsenen. Nebst der Beschäftigung von Kindern unter 14 Jahren erfuhr auch die Frauenarbeit gewisse Beschränkungen bezüglich der Zeit kurz vor und nach der Geburt. 1877 schliesslich wurde auf eidgenössischer Ebene ein erstes Fabrikgesetz erlassen, welches ebenfalls Regelungen in diesen Bereichen miteinbezog. Die als selbstverständlich angesehene Doppelbelastung der Fabrikarbeiterin durch Gelderwerb und Hausarbeit schlug sich im Gesetz in den Arbeitszeiten der Frauen nieder, indem ihnen ein längerer Mittag gewährt wurde, um die Kinder zu versorgen. Zusätzlich wurde die Frau aus gewissen Branchen und von gewissen Tätigkeiten verbannt, da diese für sie als zu gefährlich eingestuft wurden. Ebenso wie die Kinder erhielten die Frauen somit in der Industriearbeit eine Sonderstellung. Diese wirkte bevormundend und zementierte das bürgerliche Rollenideal. Die Wirkmächtigkeit des Rollenverständnisses widerspiegelt sich auch in der Relevanz, die der Frau in verschiedenen Lebensphasen zugeschrieben wurde. Erst als Mutter und mit dem damit verbundenen gesellschaftlichen Nutzen der Kindesbetreuung erfuhr sie eine entscheidende Verbesserung der Situation. Das Fabrikgesetz kann als Meilenstein in der Frauenbewegung gesehen werden. Auch wenn die Zementierung des bürgerlichen Familienideals nicht den emanzipatorischen Vorstellungen der Arbeiterinnenvereine entsprach, spielte ihnen das Gesetz in die Karten.

Internationales Gedankengut für St. Galler Frauen

Hinweis auf einen Vortragsabend des Arbeiterinnenvereins St. Gallen in der «Ostschweizer Arbeiter-Zeitung» vom 14. November 1908

Der in der Nummer der «Ostschweizer Arbeiter-Zeitung» vom 14. November 1908 platzierte Hinweis auf einen Vortrag einer Berliner Referentin steht sinnbildlich dafür, dass die Arbeiterinnenbewegung in der Schweiz von ausländischen Einflüssen befördert wurde. Die Referentin wird als Genossin Selinger vorgestellt. Vermutlich handelt es sich dabei um Berta Selinger, eine Mitstreiterin von Clara Zetkin, der deutschen Frauenrechtlerin schlechthin. Solche Vorträge waren zum einen ein veritables Mittel, um neue Mitglieder für die Arbeiterinnenvereine zu gewinnen, wie dies auch im Inserat ausdrücklich genannt wird, indem darauf hingewiesen wird, dass Freunde und Bekannte an die Veranstaltung mitgenommen werden sollten. Zum anderen sollten sie den Wissens- und Erwartungshorizont innerhalb der Vereine erweitern. Die Arbeiterinnenvereine sahen ihr Bestreben als Teil des Klassenkampfes, wie dies auch aus dem Titel des Vortrags «Die Verelendung der Massen und die Interessenspolitik der herrschenden Klassen» hervorgeht.

Arbeiterinnenvereine stellten eine Möglichkeit zur Bündelung und Vertretung der Interessen der proletarischen Frauen dar. In verschiedenen Sektionen gegliedert und über die ganze Schweiz verteilt, versuchten sie nicht nur eine Gleichstellung ausserhalb der Familie zu erwirken, sondern auch innerhalb. Der Vortragshinweis verdeutlicht, dass Frauen auch innerhalb von Arbeiterfamilien dem dominanten Rollenverständnis unterworfen waren, das zu einer starken Doppelbelastung der Arbeiterfrauen führte, da sie sich nebst der Erwerbsarbeit – Arbeiterfamilien waren üblicherweise auf zwei Einkommen angewiesen – auch noch um Haushalt und Familie kümmern sollten. Als in vielen Fällen nicht gleichwertiges Familienmitglied ist die Arbeiterfrau auf das Wohlwollen ihres Ehemannes angewiesen, um am beworbenen vorgestellten Vortrag teilzunehmen. Darum lässt sich der Kampf um Gleichberechtigung der Frau auch auf die Familie ausweiten und kann nicht als isoliertes, externes Begehren angesehen werden. Befördert wurde die Bewegung von ausländischen Einflüssen, vor allem aus Deutschland. So verwundert es auch nicht, dass in diesem exemplarischen Zeitungsinserat die angepriesene Gastrednerin eine Deutsche war, die ihr Gedankengut in der Schweiz auf einer Agitationstour verbreitete.

Die «Vorkämpferin» klärt auf!

Artikel zum Antrag des Zentralvorstandes in «Die Vorkämpferin» von Juni 1910

Die Arbeiterinnenvereine sollten die erwerbstätige Frau repräsentieren und für deren Forderungen einstehen. Diese stellten hauptsächlich das Erlangen des Frauenstimmrechts dar. Vom Zentralvorstand der Arbeiterinnenvereine, der zwischen 1904 und 1911 seinen Sitz in Winterthur hatte, wurde eine Aufnahme in den Gewerkschaftsbund gefordert, weil er vom Nutzen der Anlehnung an diese grössere Macht überzeugt war, um Gehör für deren Forderungen zu finden. Dieser Artikel, der im Juni 1910 in der Frauenzeitschrift «Die Vorkämpferin», dem offiziellen Organ des «Schweizerischen Arbeiterinnenverbandes», erschienen ist, berichtet von dessen Delegiertentag in Winterthur, auf dem die «Frage des Wiederanschlusses des Arbeiterinnenverbandes an den Gewerkschaftsbund» diskutiert worden war. Der Meinung des Zentralvorstandes widersprach eine Position, die am Ende des Artikels mit «Bernerin» unterzeichnet wurde. Sie betonte, dass Arbeiterinnenvereine Vereine seien, die Frauen aus diversen Berufsrichtungen aufnehmen und Schutz bieten würden, seien es Arbeiterinnen aus Branchen, welche keine eigene Berufsorganisation hätten, oder auch organisierte Heimarbeiterinnen. Sie alle fänden in diesem Verband ihren Platz und erhielten Struktur. Da sie so heterogen seien, könnten Arbeiterinnenvereine nie eine Gewerkschaft sein. Zudem führte die «Bernerin» an, dass die moderne Frau wirtschaftlich, nicht aber rechtlich und politisch, selbstständig sei. Im Gegensatz zu den Arbeiterinnenvereinen könne ihr diese Hilfestellung in der Gewerkschaft nicht gegeben werden. Mit dem Beitritt zum Gewerkschaftsbund würde man vom zentralen Ziel des Frauenstimmrechts abweichen. Der Beitritt zum Gewerkschaftsbund wurde am Delegiertentag letztlich abgelehnt.

Warnung an alle Mädchen, welche ohne Furcht reisen!

Die «Freundinnen junger Mädchen» stellen sich in der Sonderasugabe zur SAFFA der illustrierten Rundschau «Schweizerfrau im Frauenwer» von 1929 vor.

Die emanzipatorischen Forderungen des Arbeiterinnenverbands gingen bedeutend weiter als jene der Sittlichkeitsvereine, doch auch diese waren für die frühe Frauenbewegung von grosser Relevanz. In diesen engagierten sich im 19. und 20. Jahrhundert konservative bürgerliche Frauen. Die Sittlichkeitsvereine waren moralreformerisch geprägt und stark von der «Fédération abolitioniste internationale» (FAI) beeinflusst, die 1877 von der Engländerin Josephine Butler gegründet worden war. Nach ihrem Beispiel entstand in der Schweiz beispielsweise die «Fédération pour l’abolition de la prostitution», welche sich für die Bekämpfung der Prostitution einsetzte. Die von bürgerlichen Frauen getragenen Sittlichkeitsvereine setzten sich letztlich für den Erhalt der bürgerlichen Ordnung ein. Trotz konservativen Moralvorstellungen strebte auch die Sittlichkeitsbewegung eine Stärkung der Stellung der Frau in der Gesellschaft an.

Die Statuten des bürgerlichen «Verbands Deutschschweizer Frauenvereine zur Hebung der Sittlichkeit» benennen dessen Aufgabenbereiche im Jahre 1902.

Seine Anliegen waren einerseits emanzipatorisch geprägt, denn durch seinen Kampf gegen die Prostitution wollte er die Doppelmoral bekämpfen und dadurch die Geschlechter gleichstellen. Für Männer als auch Frauen sollten die gleichen Moralvorstellungen gelten und beide Geschlechter auf die gleiche Weise getadelt werden. Auch wollte er den Mädchenhandel unterdrücken und so genannte «gefallene Mädchen» gesetzlich disziplinieren. Letztere Forderung verdeutlicht die selbst zugeschriebene moralische Deutungsmacht des Sittlichkeitsvereins. Zugrunde lag die Vorstellung, dass Frauen beschützt werden müssten, um zu verhindern, dass sie als Trägerinnen der Moral in der Familie und Gesellschaft vom richtigen Weg abkommen würden.

Ein anderer Sittlichkeitsverein, der die moralische Ordnung erhalten und kontrollieren wollte, waren die «Freundinnen junger Mädchen» (F.j.M.). Der Artikel, welcher 1929 in der illustrierten Rundschau, Schweizerfrau im Frauenwerk erschien, beschreibt, wie ehrenvoll und anspruchsvoll die Arbeit als Agentin dieses Vereins sei.

Die Arbeit dieser Agentinnen bestand nach der Darstellung es Artikels darin, das Verschwinden von jungen Mädchen zu verhindern, welche, gelockt durch Stellenangebote, in andere Länder reisen und schlussendlich – so die Befürchtung – dem Frauenhandel zum Opfer fallen würden. Seine Hauptaufgabe sah der Sittlichkeitsverein darin, diese jungen, aus ihrer Sicht schutzbedürftigen Mädchen mittels Ratgeber zu informieren oder sie, wie auf dem Foto zu sehen, als Bahnhofsagentin zu begleiten. In dieser Aufgabe sollten sie auch präventativ Ausschau nach möglichen Gefahren halten. In den Zeilen gibt der Verein allerdings zu bedenken, dass sich das Selbstbewusstsein der jungen Frauen allmählich verändert habe. Es wird bedauert, dass sie sich deshalb schwerer kontrollieren liessen, da sie sich selbst nicht mehr als hilflos ansehen würden und nicht mehr auf die sogenannte Hilfe der Agentinnen angewiesen seien. Entsprechend würden deshalb diese jungen Frauen meist ohne Furcht reisen. Um nicht überflüssig zu sein, sahen die Agentinnen nun ihre Aufgabe darin, herauszufinden, wer trotzdem noch gewarnt und vor dem Fall bewahrt werden müsse.

Statuten des «Verbandes deutsch-schweizerischer Frauenvereine zur Hebung der Sittlichkeit» aus dem Jahr 1902

Der grosse Schreck vor dem «Saffaschneck»

Protest für das Frauenstimmrecht vor dem Bundeshaus mit dem Symbol der Schnecke im Rahmen des SAFFA-Umzugs 1928

Protest für das Frauenstimmrecht vor dem Bundeshaus mit dem Symbol der Schnecke im Rahmen des SAFFA-Umzugs 1928

 Nach dem Ersten Weltkrieg hofften die Verfechterinnen des Frauenstimmrechts in der Schweiz vergeblich, dass die von den Frauen während des Weltkonflikts erbrachten Leistungen mit der Einführung des Frauenstimmrechts belohnt werden würden, wie dies in den Nachbarländern Deutschland und Österreich bei dieser Gelegenheit argumentativ vorgebracht worden war. So ging es mit der Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz nur sehr langsam voran. Dies ganz zum Ärger des «Schweizerischen Verbands für Frauenstimmrecht» (SVF). Dieser zog 1928 zum Auftakt der «Schweizerischen Ausstellung für Frauenarbeit» (SAFFA) im Eröffnungsumzug mit einer Schnecke und dem darunter angebrachtem Statement «Der Fortschritt des Frauenstimmrechts in der Schweiz» am Bundeshaus vorbei. Das Symbol der Schnecke stand für die Langsamkeit, mit der das Anliegen des Frauenstimmrechts in der Schweiz vorankomme.

Um den Schwung der SAFFA in Bezug auf das Bild der Frau zu nutzen, initiierte im Nachfolgejahr der Verein gemeinsam mit den Sozialdemokratinnen eine Stimmrechtspetition und sammelte dafür Unterschriften. Die Karikatur von Ludwig Oskar Bellmont alias Rickenbach zur Stimmrechtspetition erschien 1929 am 8. März, dem internationalen Frauentag, im Satiremagazin «Nebelspalter». Sie zeigt einen verängstigten Mann, der sich unter seiner Bettdecke vor der Saffaschnecke versteckt. Diese Schnecke – ein Bezug auf die Symbolik der SAFFA-Aktivistinnen – verkörpert eine Frauenstimmrechtsverfechterin. Kämpferinnen für das Frauenstimmrecht wurde in zeitgenössischen Karikaturen oft die Weiblichkeit abgesprochen, indem sie zelotenhaft, hässlich, brillentragend und bieder dargestellt wurden. Der «Saffaschneck» trägt den Mund weit aufgerissen und wirkt mit seinen grossen, scharfen Zähnen furchterregend. Die spärlichen Haare sind zusammengebunden und seine Nase ist spitz. In der Mitschrift ist zu lesen, wie der «Saffaschneck» den stimmberechtigten Mann mitten in der Nacht als Schreckgespenst aufsuche. Dieser ist angesichts der Personifizierung der Frauenstimmrechtsforderung ganz verängstigt.

Trotz positiver Grundstimmung und beinahe einer viertel Million Unterschriften blieb die Petition folgenlos. Auch der Zweite Weltkrieg weckte neue Hoffnungen auf die Einführung des Frauenstimmrechts, weshalb der SVF 1945 eine Schlüsselrolle bei der Gründung des «Schweizer Aktionskomitees für das Frauenstimmrecht» einnahm. Trotz seines Engagements im Abstimmungskampf scheiterte die vom Bundesrat eingebrachte Vorlage zur Einführung des Frauenstimmrechts 1959 vor dem männlichen Wahlvolk mit 66,9 Prozent Nein überdeutlich. Als der Bundesrat Ende der 1960er Jahre die europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnen wollte, wurde er vom SVF mit Blick auf das fehlende Frauenstimmrecht stark kritisiert. Der Verein musste sich noch bis ins Jahr 1971 gedulden, bis die Vorlage zum Frauenstimmrecht angenommen wurde.

Eine Ausstellung «frei von aller Schwerfälligkeit»?

Die Eröffnung der SAFFA 1958 in der Schweizerischen Wochenschau vom 25. Juli 1958, SRF, Schweizerisches Bundesarchiv © 1963-2020 SRF, lizenziert durch Telepool GmbH Zürich

Nachdem die erste von Frauen organisierte «Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit» (SAFFA) 1928 auf grossen Anklang gestossen war, öffnete 30 Jahre später eine zweite SAFFA ihre Tore. In der Ausstellung stand der Dreiklang «Staat – Arbeit – Familie» im Mittelpunkt. Die Kerngedanken der zwei Ausstellungen waren dieselben. So hielt man sich wie 1928 auch bei der zweiten Ausstellung mit Gesellschaftskritik zurück. Die Ausstellung von 1958 fiel in die Hochkonjunktur der Nachkriegsjahrzehnte und war geprägt von einer sich etablierenden Wohlstandsgesellschaft. So wurde denn auch die Relevanz der Frau als Konsumentin betont, und den Abteilungen Unterhaltung, Freizeit und Erholung wurde mehr Aufmerksamkeit zuteil.

Ein Grundprinzip der SAFFA von 1958 war die Einteilung des Lebens einer Frau in drei Phasen: in eine Phase der Erwerbstätigkeit vor der Schwangerschaft, in jene als Mutter und – und dies war neu – in jene der Wiedereingliederung der Frau in den Arbeitsmarkt. Den Frauen wurde nahegelegt, sich weiterzubilden, dies jedoch immer im Rahmen der Möglichkeit der Familie, da ihre primäre Rolle letztlich doch als Erzieherin der Kinder gesehen wurde. Es zeigte sich somit nur ein teilweiser Paradigmenwechsel in Bezug auf die Rolle der Frau in Familie und Gesellschaft.

Der Bericht der «Schweizerischen Wochenschau» zeigt die Eröffnung der SAFFA. Der männliche Kommentator thematisiert die verschiedenen Ausstellungsbereiche, welche sich in Zürich auf der Landiwiese befanden. Dabei werden einerseits die typischen Rollenbilder der 1950er Jahre bestätigt, welche die Wirkungsstätte der Frau im häuslichen Bereich sah. Dieser häuslichen Sphäre wurde an der SAFFA viel Ausstellungsfläche gewidmet. Gerade in diesem Bereich zeigte sich auch die Bedeutung, die man den Frauen als Konsumentinnen beimass. So waren geschmackvolle Wohnsituationen ausgestellt, die veranschaulichten, dass sowohl die bürgerliche als auch die bäuerliche Frau stilvoll leben könne.

Nebst dem häuslichen Wirkungsbereich zeigte die SAFFA 58 die Frau im Arbeitsprozess. Ungeachtet der teilweisen Reproduktion von Rollenstereotypen beabsichtigte die SAFFA, die Arbeit der Frauen aufzuwerten und als modern zu apostrophieren. Für einige Tätigkeitsbereiche wird konstatiert, dass die Frauen die Männer eingeholt hätten. Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges fand auch das Engagement von Frauen in der Landesverteidigung als Mitglieder des Frauenhilfsdienstes (FHD) ihren Ausdruck. Dies allerdings wieder nur in einer als frauentypisch erachteten Rolle – jener der Dienstleisterin.

Die Frau als Dienstleisterin – ein sehr gut mit dem dualen Rollenbild zu vereinbarendes Tätigkeitsbild – sei, so der Kommentator, nicht wegzudenken und er erwähnt dabei erzieherische Berufe, Schönheits- und Krankenpflege und Mode. An die männlichen Besucher der SAFFA wurde auch gedacht, indem Modeschauen veranstaltet wurden und Stände mit jahrmarktsähnlichen Aktivitäten präsent waren.

Während die SAFFA 1928 kaum eine politische Würdigung erfuhr, zeugt die Anwesenheit von Bundespräsident Thomas Hollenstein von einer deutlich gesteigerten Aufmerksamkeit. Diese Beachtung kam der Frauenbewegung zugute. Der Wunsch der Frauen nach Gleichstellung wurde in der Wochenschau-Berichterstattung nicht verschwiegen und blieb jedoch nur ein Jahr später unerfüllt. Die Einführung des Frauenstimmrechts wurde mit fast 70 Prozent Nein von der männlichen Wählerschaft regelrecht abgeschmettert. Diese Volksabstimmung war sinnbildlich für den Geist der Zeit, der den Frauen zwar eine gewisse gesellschaftliche Anerkennung zukommen liess, sie aber weiterhin politisch nicht emanzipierte.

Grosse Sorgen ohne Versorger!

In der gesellschaftlichen Schicht des Bürgertums entwickelte sich um 1800 ein Rollenverständnis, nach welchem der Mann als Familienoberhaupt fungieren und durch seine Arbeit den Unterhalt finanzieren sollte. Die Frau hingegen sollte sich hauptsächlich um das Zuhause, den Haushalt und die Erziehung der Kinder kümmern. Diese Vorstellung des Geschlechterdualismus fand als Ideal im Laufe des 19. Jahrhunderts durch den sozialen und medialen Einfluss des Bürgertums Einzug in die breite Gesellschaft und bleibt bis ins 21. Jahrhundert wirkmächtig. Das Dualismus-Konzept wurde im 19. Jahrhundert auch durch biologisierende pseudowissenschaftliche Theorien vermeintlich untermauert. Der Frau wurde hierbei eine naturgegebene geistige Mütterlichkeit zugeschrieben. Die Frauenerwerbsarbeit kollidierte mit dem dualen Geschlechterverständnis des Bürgertums und erhielt eine negative Konnotation.

Diese Werbung aus dem Katalog der «Schweizerischen Ausstellung für Frauenarbeit» (SAFFA) von 1958 zeigt, wie dieses Rollenverständnis immer noch weit verbreitet war. Die abgebildete Frau, eine Mutter von mehreren Kindern, ist finanziell abhängig von ihrem Mann. Sie würde, so die Werbebotschaft der in der Schweiz konzessionierten Lebensversicherungs-Gesellschaften, im Falle eines Todes mit ihren Kindern ohne «Ernährer» dastehen. Der durch Verwitwung drohenden Verarmung könne aber durch moderne Fürsorgeformen entgegengewirkt werden. Die inserierenden Lebensversicherer zementieren mit diesem Inserat das duale Rollenverständnis. Die Frau wird als schutzbedürftig beschrieben. Schutz bietet ihr «Ernährer» und für den Fall von dessen Ableben die Versicherung. Dass die Frau allein fähig sei, die Ausbildung ihrer Kinder selbst zu finanzieren und die Familie zu ernähren, wird ausgeschlossen. Bezeichnend am Bild ist zudem, dass der Junge als einziger «Mann» der Familie vor seiner Mutter und seinen Geschwistern steht.

Dass diese Werbung gerade im Katalog der SAFFA abgebildet ist, zeigt, dass der emanzipatorische Anspruch der Ausstellung nicht sonderlich stark war. Zwar portraitierte die Ausstellung die Frauenarbeit und reproduzierte aber gleichzeitig die gängigen Klischees, indem sie etwa die Rolle der Frau als Dienstleisterin in den Bereichen der Pflege, Erziehung und Schönheit stark herausstrich.

Versicherungswerbung aus dem Katalog der SAFFA von 1958 in ZürichVersicherungswerbung aus dem Katalog der SAFFA von 1958 in Zürich

Quellenverzeichnis

Titelbild
Schweizerisches Sozialarchiv (1928). Die Saffaschnecke 1928 (Schnecke) – «Fortschritte des Frauenstimmrechts in der Schweiz». Foto: Schweizerisches Sozialarchiv. Online Unter: https://www.bild-video-ton.ch/bestand/objekt/Sozarch_F_Fb-0021-29 (18.05.2020).

Gefragte Frauenhände
In der Gemüserüsterei (um 1900). Foto: Nestlé Historical Archives.

England – der Schweiz weit voraus!
Bundesgesetz betreffend die Arbeit in den Fabriken vom 23. März 1877, BBl II (1877), S. 483 – 494, S. 1, 490 – 91 (Digitalisat des Schweizerischen Bundesarchivs).

Internationales Gedankengut für St. Galler Frauen
o.A. (14.11.1908). Arbeiterinnenverein. In Ostschweizerische Arbeiterzeitung.

Die «Vorkämpferin» klärt auf!
o. A. (01.06.1910). Der schweizerische Arbeiterinnenverband. In Die Vorkämpferin, S. 1-8, S. 7-8.

Warnung an alle Mädchen, welche ohne Frucht reisen!
Das Bahnhofwerk der «Freundinnen junger Mädchen». In Illustrierte Rundschau «Die Schweizerfrau im Frauenwerk». Sonderausgabe Saffa, S. 41. In Bibliothek des Archivs für Frauen- Geschlechter- und Sozialgeschichte Ostschweiz, FAB 10:1 SAFF.

Der grosse Schreck vor dem Saffaschneck
SAFFA-Schnecke vor dem Bundeshaus. In AGoF A/226.
Bellmont, L. O. [Rickenbach] (8. März 1929). Zur Frauenstimmrechtspetition. Nebelspalter, Online unter: https://www.e-periodica.ch/digbib/view?pid=neb-001:1929:55::2510#2510 (02.11.2020).

SRF (2018). Die Eröffnung der SAFFA 1958 in der Schweizerischen Wochenschau. Online unter: https://www.srf.ch/play/tv/news-clip/video/die-eroeffnung-der-saffa-1958-in-der-schweizerischen-wochenschau-?id=1e12d682-102b-4246-87f8-95ea5275ecce. © 1963-2020 SRF, lizenziert durch Telepool GmbH Zürich Basierend auf Saffa 1958 (0830-2), Schweizer Filmwochenschau vom 25.07.1958, Schweizer Filmwochenschau (SFW), SFW, 25.07.1958. In Filmbestand Schweizer Filmwochenschau (1940 – 1975). Online Zugangsprojekt «Schweizer Filmwochenschau», J2.143#1996/386#830-1#2* (02.11.2020). Online unter: http://www.memobase.ch/#document/SFW_CJS_CGS-SFW_0830-2 (03.11.2020).

Grosse Sorgen ohne Versorger!
In der Schweiz konzessionierte Lebensversicherungs-Gesellschaften (1958). Inserat Vorsorge schützt vor Sorge. In SAFFA 1958, Zürich, Offizieller Führer mit Ausstellungsverzeichnis und Orientierungsplan, 2. Ausstellung, Die Schweizer Frau, ihr Leben, ihr Werk, Katalog, Zürich 1958. AFGO-Bibliothek, FAB 10:1.
Sammelbibliographie

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Die Autorinnen und der Autor

Michaela Amann

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