Medizin

Der Gesundheitstourismus in der Schweiz im 19. Jahrhundert

Vertiefung: Bad Pfäfers und Bad Ragaz: Vom Heilen zum Wellnessen

Die Wahrnehmung der Bergwelt veränderte sich in den vergangenen Jahrhunderten wiederholt. Wurden die Alpen lange als bedrohlich angesehen, erlebten sie ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zunehmend positive Zuschreibungen und wurden auf neue Weisen entdeckt. Dabei wurden vor allem die der Gesundheit zuträglichen Eigenschaften der Alpen mit ihrer als sauber und frisch empfundenen Luft populär gemacht. Dadurch hielt ab Mitte des 19. Jahrhunderts auch der Tourismus in die Schweizer Bergorte Einzug. Die Alpen waren ab den 1830er Jahren zum Ziel des entstehenden Tourismus geworden, der durch viele Reiseberichte einen starken Aufschwung erlebte. Durch die voranschreitende Verstädterung und Industrialisierung entstanden einerseits bessere Transportmöglichkeiten, andererseits kam aber auch vermehrt das Bedürfnis nach Ruhe und Entspannung auf. Das Konzept von Ferien als freier zur individuellen Verfügung stehender Zeit kam somit in das Bewusstsein der Menschen. Auf der Suche nach geeigneten und gesunden Rückzugsorten wurden damals noch kleine Bergorte wie St. Moritz, Arosa oder Davos von der städtischen Bevölkerung für touristische Zwecke entdeckt. Die Fremden brachten Unbekanntes und Neues in die Berggebiete mit, das die Kultur der Ortsansässigen veränderte. Die Tourismusorte ihrerseits reagierten flexibel auf die Nachfrage und passten ihre Angebote so an, dass die Menschen aus den städtischen Gebieten immer mehr auf das Land und in die Berge gelockt wurden.

Vom bedrohlichen Alpenland zum Gesundheitsparadies

Caspar Wolfs Ölgemälde «Unterer Grindelwaldgletscher, Lütschine und Mettenberg» 

Caspar Wolfs Ölgemälde «Blick von der Bänisegg» aus dem Jahre 1778

Die Alpenwelt gilt schon seit vielen Jahrhunderten als sagenumwobene und mystische Gegend. Durch die vor allem im Winter schwierigen Lebensbedingungen waren viele der Bergdörfer bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts eher klein und keineswegs wohlhabend. Ausserdem empfand man die Bergwelt mit ihrer unzähmbaren Wildheit als gefährlich, auch wenn erste Pionierinnen und Pioniere – häufig aus dem angelsächsischen Raum – diesen Raum touristisch wahrzunehmen begannen. Vielerorts wurde die Meinung vertreten, die Bergluft sei zu dünn, belaste damit das Gemüt und führe zu leichtsinnigen Gedanken. Auch wurde die Alpenwelt als bedrohlich wahrgenommen. Dies schlägt sich nieder im Gemälde von Caspar Wolf von 1774, dessen Farben und schroffen Formen dies zum Ausdruck bringen. Die Figurengruppe in der unteren rechten Ecke offenbart aber, dass dieser bedrohliche Anblick dennoch in den Bann zieht.

Während des 18. Jahrhunderts und vor allem in den späten 1780er Jahren begann sich der negativ konnotierte Blick auf die Alpenwelt jedoch langsam zu ändern. Die Bilder von Wolf stammen genau aus dieser Übergangszeit und verbinden beide Perspektiven. Wolfs Faszination von der Bergwelt spricht bereits grundsätzlich für eine sich ändernde Wahrnehmung. Das zweite Gemälde von Caspar Wolf, das nur vier Jahre nach «Unterer Grindelwaldgletscher, Lütschine und Mettenberg» entstanden ist, bringt den sich ins Positive wandelnden Blick explizit zum Ausdruck. In warmen Farben gemalt, zeigt es die Majestät der Berge und erste mutige Bergsteiger, die sich bis in entlegene alpine Gebiete vorwagen und nicht wie im ersten Bild am Fusse des Gletschers stehen blieben. Gerade britische Bergsteiger trafen ab den 1860er Jahren in grösseren Gruppen ein und lieferten sich einen Wettstreit, indem sie gegenseitig die Aufstiegszeiten zu unterbieten versuchten.

Die dokumentierten Abenteuer der Bergsteiger und viele weitere Reiseberichte fanden schnell ihren Weg zu weiteren potenziellen Besuchern und wurden zusammen mit anderen Reiseführern zuhauf verkauft und gelesen. Auch Caspar Wolf, der Maler der beiden beeindruckenden Gemälde, hat in seiner Schaffenszeit einige Bilder gemalt, die ihren Platz in Reiseführern fanden und somit ihren Anteil am Aufschwung des Schweizer Bergtourismus leisteten. Somit ging nicht nur eine ideologische Umdeutung der Bergwelt vonstatten. Mit der Ankunft von immer mehr Touristen in den Bergen wurde auch der wirtschaftliche Wert dieser Region erkannt. Durch die umfangreichen und abwechslungsreichen Angebote der entstehenden Tourismusorte, die glücklicherweise flexibel auf die steigende Nachfrage reagierten, wurden die Menschen aus den städtischen Gebieten immer mehr auf das Land und in die Berge gelockt.

Höhenkuren als wichtige Behandlungsmöglichkeit Der Lungentuberkulose 

Informationsfilm «Familie Charbonnois» über die Tuberkulose der «Lugenliga», ca. 1930, 2. Teil

Nicht nur die ausländischen Touristen entdeckten die Schweizer Bergwelt. Mit den grösser werdenden Städten und der wachsenden Bevölkerung entstanden neue Herausforderungen. Durch die kleiner werdenden Abstände innerhalb der Städte und somit auch zwischen den Menschen, die mangelnde Hygiene und strenge körperliche Arbeit wurde die Lungentuberkulose zu einer weit verbreiteten Krankheit. In Fachartikeln beschrieben Ärzte die Heilkraft des Höhenklimas, allen voran der Lungenarzt Alexander Spengler, der 1868 in Davos das erste Kurhaus der Schweiz gründete. Bald waren an vielen Orten Lungensanatorien eröffnet worden und versprachen eine schnelle Linderung der weit verbreiteten Lungentuberkulose. Sie warben mit Liegekuren und gesundmachender Bergluft. Für viele Bewohner der Bergorte wurde der Tourismus bald zu einem wichtigen Erwerbszweig. Der ungefähr im Jahr 1930 entstandene Film «Die Familie Charbonnois» greift das alltägliche Leben in einem solchen Lungensanatorium auf und thematisiert die damit verbundenen Schwierigkeiten (wie etwa die Unterbringung der Kinder während der Behandlung der Eltern) am Beispiel der Familie Charbonnois. Frau Charbonnois sieht sich mit der Diagnose einer Lungentuberkulose konfrontiert und erhält damit die Empfehlung, in den Tuberkulose-Pavillon des Esserts im Waadtland einzutreten. Dort erfährt sie die typischen Therapien, die in den meisten Lungensanatorien angewendet wurden: die Patientinnen und Patientin wurden zu Ruhe und Abstinenz aufgefordert, zu leichter körperlicher Betätigung ermuntert und über die hygienische Massnahmen unterrichtet. Dazu gehörten die obligatorische Liegekur im Freien, der Gebrauch eines Spucknapfes und andere alternative Therapiemethoden. Diese und andere wurden in vielen verschiedenen Schweizer Bergorten angewendet und erfuhren eine hohe Nachfrage. Erst mit der Entdeckung des Antibiotikums Streptomycin um 1944 konnten diese Therapien nicht mehr gerechtfertigt werden, worauf die Umwandlung der Sanatorien in allgemeine Rehazentren, Wellnessresorts, Hotels oder Jugendherbergen erfolgte.

Fotografie der Liegekur im Freien im Sanatorium Walenstadtberg aus dem frühen 20. Jahrhundert

Das alpine Gesundheitsparadies wird zur Touristenattraktion 

Werbeplakate des Hotels und Kurhauses Hirschen in Waldstatt (Kanton Ausserrhoden)um 1900 & Werbeplakat «besucht das Appenzellerland», 1933

Mit dem Aufkommen von Reiseführern, Reiseberichten und Reisebüros gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Menschen aus den Städten in die Berge und aufs Land gelockt. Die bereits bestehenden Sanatorien öffneten sich für Besucher aus den tieferen Bevölkerungsschichten und veränderten sich von privaten geschlossenen Anstalten in öffentliche Sanatorien. Mit Hilfe von Prospekten, Reiseführern und Plakaten wurde für diese Region geworben und die anreisenden Touristen kurbelten das Wachstum der Tourismusbranche weiter an.

Das Hotel & Kurhaus Hirschen in Waldstatt stellt ein prototypisches Beispiel für die Entwicklung des Gesundheitstourismus in den Ostschweizer Bergorten dar. In Form von Plakaten wird für diese Unterkunft geworben. Diese stellen den Hirschen als inmitten der Natur liegend und zugleich gut zu erreichen dar, denn die Lokalität sei über die Eisenbahn zu erreichen. Auch sind klare Verbindungen zum Gesundheitstourismus auszumachen. So wird das Hotel explizit auch als Kurhaus bezeichnet. Konkret wirbt der Hirschen auf dem Plakat aus der Zeit der Jahrhundertwende mit eisenhaltigem Wasser, heissen Bädern und gläsernen Verandas. Neben den gesundheitlichen Angeboten des Hotels wird auch auf die Kegelbahn und die grünen Wiesen hingewiesen, die den Touristen Zeitvertreib und Naturerlebnis ermöglichen sollten. Mit dem Verweis auf die Kurmöglichkeiten und dem Herausstreichen der schönen Natur, die sich auch in der ästhetischen Ausgestaltung des Plakats zeigt, vereinigt das Plakat des Hotels und Kulturhauses beide Faktoren, die die schnelle Entwicklung des Schweizer Tourismus vorangetrieben haben. Das Plakat setzt das stattliche Anwesen des Kurhauses zeichnerisch direkt in die Umgebung der Bergwelt, der Alpstein ist dabei majestätisch im Hintergrund zu sehen sowie die grünen Hügel des Appenzellerlands. Das zweite Werbeplakat von 1933 argumentiert ähnlich: Natur, Vergnügen und Verkehrsanschluss sollen die Region als touristisch attraktiv darstellen. Dabei wird wiederum die Idylle der Region zeichnerisch aufgenommen und mit Blumen und einer freundlich scheinenden Sonne ergänzt, ganz so, als wolle das Plakat sagen: Kommt alle her, bei uns gibt es vielerlei zu sehen und zu unternehmen, wobei die allgegenwärtige gesundmachende Natur der Bergwelt im Zentrum steht. Das Plakat scheint sich auch insbesondere an ein städtisches Publikum zu richten. Der Vater mit Kind, die Ausflugsgesellschaft im Automobil wie auch die modisch gekleideten Badenden lassen darauf schliessen. Kontrastiert werden sie durch als traditionell etikettierte Einheimische. Diese Lebensweise wird so selbst zum Tourismusobjekt erklärt.

Die moderne Variante einer Kur

Der SRF 4 Radio-Beitrag «Verzichten, aber nur aufs Essen» von Lucia Theiler und Eveline Kobler wurde am 18. Januar 2019 gesendet

Neben den verschiedenen Therapiemethoden, die konkret zur Behandlung der Lungentuberkulose entwickelt wurden, sind auch verschiedene andere alternative Behandlungsmöglichkeiten für unterschiedliche Beschwerden aufgekommen. Gerade das Appenzellerland war bald schweizweit berühmt für die entschlackend angepriesenen Molkenkuren und die deftigen Milchkuren. In anderen Teilen der Schweiz konnten viele verschiedene andere Kuren gefunden werden, so zum Beispiel eine ganzheitliche Traubenkur in Montreux, die sich der verschiedensten Produkte aus Trauben bediente.

Viele Kuren wurden in Verbindung mit einer eher asketischen Lebensweise mit zusätzlicher leichter körperlicher Betätigung für einige Tage oder Wochen beworben und sollten nebst der angestrebten Entschlackung auch eine Entschleunigung aus der immer schnelllebigeren Welt ermöglichen. Das Konzept des Fastens als eine Art Kur war aber keinesfalls neu. Schon seit Jahrhunderten wurde gefastet und nun mit spezifischen Komponenten der Kur verbunden wie zum Beispiel dem Genuss von frischer Molke.

Im Radiobeitrag wird das Fasten in der heutigen Zeit als Entschlackungsmassnahme und dezentrale Kur thematisiert. Dabei werde das Fasten heutzutage weniger aus religiös motivierten Gründen durchgeführt, sondern mehr zu Verbesserung des eigenen Wohlbefindens praktiziert. Als fastende Person werde man schnell fündig, wenn man nach einer geeigneten Fastenkur suche. Auf dem Markt seien verschiedene Saft-, Tee- und Molkenkuren zu finden, die den gewünschten Erfolg versprechen würden. Die Fastenkur ist jedoch nicht gänzlich dezentralisiert worden. Auch heute noch finden sich einige Kurhotels, die eine geleitete Fastenkur in schöner Umgebung anbieten und immer noch zahlreiche Interessenten finden. Dabei hat sich das Ziel der Fastenkur nicht stark verändert. Auch heute wollen die Teilnehmenden noch mittels der Fastenkur eine Entschlackung des Körpers und des Geistes erreichen und für einige Zeit der allgegenwärtigen Überflussgesellschaft entfliehen.

Während früher die Leute fast ausschliesslich aus religiösen Gründen gefastet haben, machen das heute viele vor allem fürs Wohlbefinden.

Lucia Theiler & Eveline Kobler

SRF-Beitrag: Verzichten, aber nur aufs Essen

Dazu gehört auch gelegentlich Nein zu sagen in der Überflussgesellschaft und sich freiwillig
einzuschränken.

Lucia Theiler & Eveline Kobler

SRF-Beitrag: Verzichten, aber nur aufs Essen

Altes Bad Pfäfers – Zeitreise durch die Geschichte

Radierung des Bad Pfäfers in der Taminaschlucht von Matthaeus Merian nach einer Vorlage von Joseph Plepp aus dem Jahre 1629

Im Jahre 1240 entdeckten Jäger des Klosters Pfäfers in der Taminaschlucht eine Heilquelle. Erreichbar war sie nur über Leitern und Seile, was sehr beschwerlich war. Damit die Menschen im heilkräftigen Wasser baden konnten, liess man sie an Seilen und in Körben in die enge Schlucht hinuntergleiten. Zudem war der Badebetreib nur im Sommer möglich, im Winter war die Schlucht wegen Eis und Schnee nicht zugänglich.

Der Längsschnitt durch die enge Taminaschlucht zeigt den hängenden Steg, der von der Naturbrücke hinunter zu den ältesten, auf Balkenlagern stehenden Badegebäuden bei der heissen Quelle führt. Mit Grossbuchstaben werden auf der «Tafel» (lat. tabula) die verschiedenen Gebäude oder Teile der Therme gekennzeichnet. In der dazugehörigen Legende erhält man als Betrachter die passende Erklärung in lateinischer Sprache (z.B. Buchstabe B: lat. Sacellum = Kapelle oder Buchstabe G: lat. Thermae superiores = erhöhte Therme). Zudem werden in lateinischer Sprache die Himmelsrichtungen angegeben, damit man sich als Betrachter besser orientieren kann.

1630 begann man, das Thermalwasser mit einer Wasserleitung oder Bisse aus der engen Schlucht zu einer Terrasse zu leiten, wo ein neues Bad und Hospiz entstanden. Die Besucher des Bades stammten oft aus der weiteren Umgebung, vor allem aus dem vorderösterreichisch-süddeutschen Raum, manche kamen auch aus dem Zürcher Einflussgebiet oder aus dem Gebiet des Oberrheins.

1839 wurde die Schlucht mit einer Strasse erschlossen und in der Folge verlagerte sich der Kurbetrieb immer mehr nach Ragaz. Am 31. Mai 1840 wurde das Thermalwasser mit Holzleitungen erstmals in den Hof Ragaz in Ragaz geführt. Ein unbeschwerlicher Badebetrieb begann somit erst zu diesem Zeitpunkt. Die der Strasse entlang geführten Wasserleitungen bestanden aus hölzernen und eisengebundenen Röhren, die ineinandergeschoben werden konnten. Sie wiesen eine Wasserkapazität von 4000 bis 6000 Litern pro Stunde auf.

Paracelsus’ heilige Schrift

1535 begründete ein Gutachten, welches der berühmte Arzt Paracelsus verfasst hatte, den Ruhm der Therme von Bad Pfäfers. In seiner Schrift sind genaue Vorschriften zur Therapie in der sogenannten Akratotherme enthalten. Von einer Akratotherme spricht man, wenn eine Mineralwasserquelle einen geringen Gehalt an gelösten Stoffen und eine Temperatur von mehr als 20 °C hat.

Mit Paracelsus‘ Konzept wurde die Bäderheilkunde begründet. Er sah im Wasser den tiefsten Grund aller Dinge. Paracelsus war wesentlich geprägt von der neuplatonischen Naturphilosophie und Magie, wobei er die persönliche Erfahrung höher wertete als das Buchwissen. Alchemistische Konzepte dienten ihm zur Arzneimittelherstellung wie auch zur Erklärung von Körpervorgängen und Krankheiten. Mit diesem Ansatz übte er einen wesentlichen Einfluss aus auf die Entwicklung der Physiologie, das heisst der Wissenschaft von den Funktionen und Abläufen im menschlichen Organismus und der Pharmazie. Insgesamt sind Paracelsus’ Schriften als eher unsystematisch, schwer verständlich und stellenweise dunkel zu charakterisieren, da seine Heilmethoden häufig einen alchimistischen Hintergrund hatten.

Im zweiten («Von den Kräften und Tugenden des Wassers und Bades von Pfäfers») und dritten Kapitel («Davon, wie das Bad Pfäfers die Krankheiten angreift, weiterhin von den Namen der Krankheiten, für die es taugt und für die es nicht taugt») beschreibt Paracelsus die Kräfte des Bades von Pfäfers.

Die Kräfte des Bades von Pfäfers sollen folgendermassen beschrieben werden: der menschliche Leib verfügt über Orte der Ausscheidung (emunctoria genannt), durch diese treibt die Natur das ihr Zuwidre heraus. Nun gibt es aber oft Hemmnisse an den jeweiligen Stellen, so dass die Natur oft zu schwach ist zum Heraustreiben: ihr zu helfen ist die Arznei geschaffen! Es gibt einige Stellen, wo die Ausscheidung durch die Haut geschehen soll, wenn aber die Natur an dieser Stelle unvollkommen arbeitet, soll nachgeholfen werden, denn dort, wo si’s heraustreiben will, da soll der Arzt behilflich sein. Purgantia sind also nichts anderes als heraustreibende Kräfte, einige treiben von innen heraus wie der Rhabarber, einige ziehen von außen heraus wie die Bäder. So ist also dieses Bad Pfäfers eine Purganz, um das herauszuziehen, was die inneren emunctoria nicht ausscheiden können, es zieht heraus, und zwar mit Macht durch Fleisch und Haut, in seiner Wirkkraft der scamonea gleich.

2. Kapitel aus Paracelsus' Schrift «Von dem Bad Pfeffers in Oberschwytz gelegen Tugenden, Krefften unnd Würckung, Ursprung unnd Herkommen, Regiment und Ordinantz»

Ihm geht es darum, den Ort der Quelle im Zusammenhang mit den dortigen herrschenden Kräften zu verstehen. Hier zeigt sich zugleich ein Hinweis auf das mögliche «Zielpublikum» dieser Schrift: Sie ist nicht nur für zukünftige Patienten gedacht, sondern für einige Menschen bestimmt, die dem «medizinischen Personal» im Bad angehört haben. Wer dort über lange Zeitspannen hin die Kranken betreut habe, habe die Kräfte des Bades unmittelbar erlebt und kenne auch dessen Kräfteschwankungen. «Das Bad regiert nach seinem Willen».

Die Schrift diente in der Folge, zusammen mit verschiedenen Publikationen, als mehrfach aufgelegtes Instrument zur Gewinnung neuer Badegäste, die oft aus der weiteren Umgebung stammten. Die Mediziner des 19. Jahrhunderts erkannten, dass viele Krankheiten von Überarbeitung oder falscher Lebensweise herrührten. Die Badekur musste also immer auch Erholung sein. Der Heilerfolg war oft weniger dem Wasser als dem psychischen Effekt der Badekur zuzuschreiben.

Buchtitelseite und Auszug aus dem 2. Kapitel von Paracelsus Schrift «Vonn dem Bad Pfeffers in Oberschwytz gelegen Tugenden, Krefften unnd Würckung, Ursprung unnd Herkommen, Regiment und Ordinantz» aus dem Jahre 1535

Wellnesskultur im mondänen Bad Ragaz

Kunstvolle Beleuchtung über mehrere Etagen im Grand Hotel Quellenhof

Helena Pool im Grand Hotel Quellenhof

Voraussetzung für den starken Bedeutungsgewinn und ein internationales Ansehen der Therme Bad Pfäfers stellte im 19. Jahrhundert die Aufnahme des Badebetriebs in Ragaz dar. 1868 wurde das Hotel Quellenhof in Ragaz erbaut und vier Jahre später entstand mit der Tamina Therme das erste Thermalwasserhallenbad Europas. Damit wurde der Grundstein für das weltweite Ansehen der Gemeinde als Bade- und Kurort gelegt. Nebst der europäischen und russischen Oberschicht kamen Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kunst und Literatur nach Ragaz, welches sich ab 1936 Bad Ragaz nannte.

Heute herrscht im Grand Resort Bad Ragaz eine moderne Spa- und Wellnesskultur vor. Unter anderem nennt der Ort neben dem Fünfsterne Grand Hotel Quellenhof ein modernes Casino, einen Kursaal und einen Golfplatz sein Eigen. Der komplett erneuerte und vielfach ausgezeichnete Quellenhof bietet eine perfekte Kombination aus Luxus-Hotel und anerkanntem Gesundheitszentrum.

Besonders ins Auge fällt der 16 Meter hohe Kronleuchter in der Eingangshalle, der mit seinen 2‘500 Kugeln das Sprudeln der Tamina-Quelle symbolisieren soll und sich über sämtliche Etagen erstreckt. Die Kugeln aus blauem und weissem Glas wurden in der Tschechischen Republik angefertigt. Mit ihrer Symbolisierung des Wassers stellen sie das für den Kur- und Wellnessbetrieb zentrale Element in den Vordergrund.

Erholung gibt es im Pool des imposanten Helena-Bades, das 1872 als erstes Hallen-Thermalbad Europas errichtet wurde. Der Name des Bades hat seinen Ursprung in der griechischen Mythologie und wird mit der «schönen Helena» assoziiert. Helena galt als die schönste Frau ihrer Zeit und jeder Mann wollte sie besitzen. Somit ging es im 19. Jahrhundert nicht nur um die reine Kur, sondern man legte bereits damals Wert auf die Schönheit und verband damit das wohltuende Wellnessen im ehrwürdigen Helena-Bad.

Am 15.  Januar 1970 öffnete die Rheuma- und Rehabilitationsklinik Valens ihre Tore. Seitdem wird ein Teil des Quellwassers nebst Bad Ragaz auch nach Valens hoch geleitet. Für das Rehazentrum gibt es klimatisch gesehen grosse Vorteile, denn der Ort Valens liegt auf 920 Metern Höhe und profitiert von einer langen Sonnenscheindauer am Nachmittag. Im Gegensatz zum aufkommenden Wellnesstourismus zeigt sich am Beispiel der Bäderklinik Valens der fortdauernde medizinische Ansatz der Badekultur: die heilende Wirkung des Thermalwassers, insbesondere bei rheumatischen und chronischen Krankheiten, und das daraus resultierende Rehazentrum. Die Grundidee des Heilens mit Wasser bleibt somit bis heute bestehen. Es hat in hunderten von Jahren jedoch ein umfassender und erstaunlicher Wandel von einer Heilkultur zur heutigen Wellnessindustrie stattgefunden, ohne aber, dass die Heilkultur dabei verschwand.

Quellenverzeichnis

Titelbild
o. A. (frühes 20. Jh.). Liegekur im Freien im Sanatorium Walenstadtberg. © Rehazentrum Walenstadtberg, Kliniken Valens. Online unter: https://www.rehazentrum-walenstadtberg.ch/ueber-uns/geschichte/ (28.06.2021).

Vom bedrohlichen Alpenland zum Gesundheitsparadies
Wolf, C. (1774). Unterer Grindelwaldgletscher. Online unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Caspar_Wolf#/media/Datei:Unterer_Grindelwaldgletscher.jpg (29.05.2021).
Wolf, C. (1778). Blick von der Bänisegg über den Unteren Grindelwaldgletscher.

Höhenkuren als wichtige Behandlungsmöglichkeit Der Lungentuberkulose
Lungenliga Schweiz (ca. 1930). Die Familie Charbonnois – historischer Film zur Tuberkulose (2. Akt.). Online unter: https://www.youtube.com/watch?v=xL6Z_TN72SE (19.06.2021).
o. A. (frühes 20. Jh.). Liegekur im Freien im Sanatorium Walenstadtberg. © Rehazentrum Walenstadtberg, Kliniken Valens. Online unter: https://www.rehazentrum-walenstadtberg.ch/ueber-uns/geschichte/ (28.06.2021).

Das alpine Gesundheitsparadies wird zur Touristenattraktion
o. A. (um 1900). Hotel & Kurhaus Hirschen Waldstatt. Winterthur: Lithographische Anstalt Jean Vollenweider. Foto: Plakatsammlung, Museum für Gestaltung Zürich, ZHdK. 49-0496. Online unter: https://www.emuseum.ch/objects/119597/waldstatt–ct-appenzell-ar–hotel–kurhaus-hirschen–h;jsessionid=AED7FFDA8ACC89468BA9237CDE03760E (30.05.2021).
Bosshard, A. (1933). Besucht das Appenzellerland. St. Gallen-O: O. Hagmann & Söhne. Foto: Plakatsammlung, Museum für Gestaltung Zürich. ZHdK. 04-0620. Online unter: https://www.emuseum.ch/objects/237647/besucht-das-appenzeller-land (17.06.2021).

Die moderne Variante der Kur
SRF (18.03.2019). SRF 4 News  aktuell. Das lukrative Geschäft mit dem Fasten. Online unter: https://www.srf.ch/news/wirtschaft/milliardengeschaeft-fasten-verzichten-aber-nur-aufs-essen (30.05.2021).

Altes Bad Pfäfers – Zeitreise durch die Geschichte
Merian, M. nach einer Vorlage von Plepp, J. (1629). Längsschnitt durch die Taminaschlucht. Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv.

Paracelsus’ heilige Schrift
Paracelsus, T. (1535). Vonn dem Bad Pfeffers in Oberschwytz gelegen Tugenden, Krefften unnd Würckung, Ursprung unnd Herkommen, Regiment und Ordinantz. Zürich: Christoph Froschauer d. Ä. Online unter: Online unter: https://www.e-rara.ch/zuz/content/titleinfo/462407 (15.01.21).

Wellnesskultur im mondänen Bad Ragaz
Grand Resort Bad Ragaz (2020). Helena Pool. In Linnenbüger, J. Zu Gast in Bad Ragaz: Großartiger «Leading Course of Switzerland». Online unter: https://www.golfpost.de/reisebericht-bad-ragaz-schweiz-7777391327/ (15.01.20).
Linnenbüger, J. (04.11.2020). Kunstvolle Beleuchtung über mehrere Etagen im Grand Hotel Quellenhof. Online unter: https://www.golfpost.de/reisebericht-bad-ragaz-schweiz-7777391327/ (15.01.20).

 

Sammelbibliographie

Altes Bad Pfäfers. (o.D.). Das älteste erhaltene Barockbad der Schweiz. Online unter: https://www.altes-bad-pfaefers.ch/badhaus-altes-bad-pfaefers.html (7.11.20). 

Anderes B. (1999). Geschichte. In Anderes, B. Altes Bad Pfäfers. Ein Führer. (S. 15-42). Mels: Sarganserländer Druck.

Dürr, F. (o.D.). Ab ins Museum! Museumsgeschichte(n) führen durch vier Museen der Region Sarganserland und Werdenberg. Online unter: https://kuverum.ch/l/cmsfiles/ws/dokumente/wissen/LITERATUR/AB_INS_MUSEUM!_Museumsfuehrer.pdf (12.11.20). 

Gantenbein, U. (2010).  „Paracelsus“. In: Historisches Lexikon der Schweiz. Online unter: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/012196/2010-09-27/ (3.3.21).

Reichen, Q. (2017). Bäder. In Historisches Lexikon der Schweiz. Online unter: https://hlsdhs- dss.ch/de/articles/016308/2017-05-04/ (12.11.20). 

Ritzmann, I. (2017). Sanatorien. In Historisches Lexikon der Schweiz. Online unter: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/014073/2017-05-04/ (12.11.20). 

Ritzmann, I. (2013). Logiken der Lungenkur. Virus. Beiträge zur Sozialgeschichte der Medizin, 12, S. 87-96. 

Rehazentrum Valens. (2020). Online unter: https://www.rehazentrum-valens.ch/ (21.11.20). 

Tissot, L. (2014). Tourismus-Fremdenverkehr. In Historisches Lexikon der Schweiz. Online unter: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/014070/2014-02-25/ (11.11.20).  

Trapp, W. (2003). Die Entstehung einer Kurlandschaft. Das obere Toggenburg 1860-1914. In St. Galler Geschichte 2003, Bd. 6 Die Zeit des Kantons 1861-1914 (S. 169-186). St. Gallen: Niedermann Druck.

Treichler, H.P. (2010). Molken, Milch und Traubenberge. Neue Ansätze im Kurwesen. In Graf, F. & Wolff, E. (Hrsg.), Zauberberge. Die Schweiz als Kraftraum und Sanatorium. (S. 49-52). Baden: hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte. 

Vogler, W. (1994). Heilbäder in den Alpen im Spätmittelalter und in der Renaissance am Beispiel von Pfäfers. In Nössing, J. (Hrsg.), Die Alpen als Heilungs- und Erholungsraum. Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft Alpenländer. (S. 137-156). Bozen.

Die Autorinnen

Jasmin Hänsli

Nora Sieger

Lehrer-Login

Im Lehrer-Login finden Sie weiterführende Dokumente zu diesem Thema als Download. Diese sollen Ihnen als Grundlage für die Verwendung im Unterricht an der Sekundarschule dienen.