Armut
Schweizerische Blicke auf Armut in der «Dritten Welt»
Vertiefung: Die Sicht auf Armut aus der Perspektive des Hilfswerk «Brot für Brüder»
Schweizerische Blicke auf Armut in der sogenannten «Dritten Welt» ab den 1950er und 1960er Jahren sind in zentraler Weise mit dem Konzept «Entwicklungshilfe» verknüpft. Entwicklungshilfe kann in eine politische und religiöse unterteilt werden. Die politische Entwicklungshilfe ist geprägt von zwei Akteuren: dem Staat und der Gesellschaft. Nach dem Zweiten Weltkrieg entbrannte zur Zeit des Kalten Krieges ein Wettkampf zwischen den Ideologien Kommunismus und Kapitalismus. Ziel von staatlicher Entwicklungshilfe war es deshalb zum einen auch in der Schweiz, die in Folge der Dekolonisation unabhängig werdenden sogenannten Drittweltländer vor der gegnerischen Ideologie zu schützen. Armutsbekämpfung sollte Schutz vor dem Kommunismus bringen. Hinzu kam, dass staatliche Entwicklungshilfe auch zur Verbesserung des Images der Schweiz beitragen sollte, das nach dem Zweiten Weltkrieg ramponiert war. Hinsichtlich der Gesellschaft als Akteurin in der Entwicklungshilfe ist vor allem die Dritte-Welt-Bewegung zu nennen. Für deren Vertreter war klar, dass Armut in den Ländern des globalen Südens nicht selbstverschuldet, sondern ein Resultat des Kolonialismus war. Die religiöse Entwicklungshilfe hingegen fokussierte nicht auf die Schuldfrage hinsichtlich der Armut, sondern gründet auf biblischen Prinzipien wie der Nächstenliebe. Somit sammelten religiös motivierte Organisationen Geld und Güter für Menschen in einer Notlage, um diese uneigennützig zu unterstützen. Ein Beispiel einer Organisation der religiösen Entwicklungshilfe ist «Brot für alle», die bis 1990 den Namen «Brot für Brüder» trug. Nebst veranstalteten Spendenaktionen setzte sich «Brot für alle» ab den 1970er Jahren auch politisch für die Sensibilisierung der Bevölkerung im globalen Norden bezüglich des Zusammenhangs von Wirtschaft und Politik mit Armut und Hunger im globalen Süden ein.
Der vermeintliche Weg zu einer besseren Welt
«Eine bessere weltweite Ausgewogenheit der Lebensbedingungen.»
Aufmerksam auf das Problem des «armen Südens» wurde auf internationaler Ebene erstmals durch Harry S. Truman gemacht. Er sprach es in seinem berühmt gewordenen «Point-Four» seiner Antrittsrede 1949 an. Nebst dem Marshallplan für Europa und seinem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg sollte ein Entwicklungsprogramm, an dem alle Mitglieder der UNO ihren Teil beizutragen hatten, für sogenannt unterentwickelte Gebiete geschaffen werden. Diese Wahrnehmung von Armut als internationales Problem wird auch in den publizierten Entwicklungszielen der UNO aus dem Jahre 1990 ersichtlich Eine solch einschneidende Entwicklung bedurfte neuer internationaler Bestrebungen. So wurden um 1990 von der UNO Ziele für die Entwicklungshilfe verabschiedet, welche bis 2015 hätten erreicht werden sollen. Im Vergleich zwischen der Aussage von Truman von 1949 und den 1990 formulierten Entwicklungszielen zeigt sich eine veränderte Sicht auf Armut. Truman sprach in seiner Rede von einer grösseren Produktion als Schlüssel zu Wohlstand und Frieden.
Dieser Aspekt wird mit der Waage in der Quelle dargestellt. Dafür müsse modernes wissenschaftliches und technisches Wissen breiter angewendet werden. Seine Armutswahrnehmung widerspiegelt die sogenannte Modernisierungstheorie. Der Aspekt der Innovation findet sich auch in den 1990 verabschiedeten Entwicklungszielen der UNO wieder. Der Schwerpunkt wechselte jedoch von der Quantität hin zur Qualität. Der Begriff «nachhaltig» rückte dabei stark in den Fokus. Dazu gehören Aspekte wie eine hochwertige Bildung, die Geschlechtergleichstellung und der Zugang zu bezahlbarer und sauberer Energie. Die neue Ausrichtung der Entwicklungshilfe sollte den Weg bereiten, um Armut in Ländern zu bekämpfen, die auf Hilfe angewiesen sind. Grundlage dafür war das Verständnis, dass Armut lediglich vor Ort bekämpft werden könne. Die Entwicklungsziele der UNO stehen für die Interdependenztheorie, die Armut als Produkt der globalen asymmetrischen Nutzenverteilung sieht.
Weniger nehmen
Public Eye ist im Jahr 1968 als «Erklärung von Bern» entstanden. Seit der Gründung folgt die Organisation dem Motto: «Es geht nicht so sehr darum, mehr zu geben, als weniger zu nehmen.» Fast derselbe Slogan ist auf der Fotografie von 1977 aus Bern zu erkennen. Die Erklärung von Bern positionierte ein Banner mit diesem Spruch über einem Bankomaten bei der Schweizerischen Kreditanstalt in der Bundeshauptstadt. Der Verein wollte mit dem Banner darauf aufmerksam machen, dass es nicht reiche, nur Spenden in die Länder der «Dritten Welt» zu schicken und gleichzeitig die Länder auszubeuten oder Gelder von Diktatoren in den Schweizer Banken zu horten. Sie folgten klar dem Ideal der Interdependenztheorie, welche die reine Lieferung von Geld an arme Länder ablehnte. Der Reichtum der Schweiz hing für die Erklärung von Bern mit der Armut der Entwicklungsländer zusammen.
Es wurde eine neue Weltwirtschaftsordnung gefordert. Mit diesem Slogan engagierte sich der Verein konkret für die Rückgabe der Marcos-Gelder und einen sauberen Finanzplatz Schweiz. Ferdinand Marcos, der seit 1972 diktatorisch regierte, war von 1965 bis 1986 Präsident der Philippinen. Er veruntreute Geld und platzierte eine Summe von über 680 Millionen US-Dollar auf Konten in Schweizer Banken. Die «Erklärung von Bern» lancierte 1977 die Bankeninitiative. Die Bankeninitiative forderte, dass die Gelder der philippinischen Regierung zurückgegeben werden sollten. Zusätzlich wollte das Volksbegehren einen transparenten und sauberen Finanzplatz in der Schweiz schaffen. Die befürwortende Seite trat mit verschiedenen Plakaten zum Abstimmungskampf an. Die Ausbeutung der ganz Armen, namentlich der philippinischen Bevölkerung, galt es ins Zentrum zu setzen, wie auf der zweiten Abbildung erkennbar ist. Zudem wurden die Banken dargestellt, als hätten sie etwas unter ihrer vertrauenswürdigen Fassade zu verbergen. Die Weste des wohlgenährten Bankers wird als verschmutzt dargestellt. Dieser Angriff auf das Vertrauen in die Schweizer Banken und der moralische Appell an die Bevölkerung war an der Urne jedoch chancenlos. Die Initiative hatte am 20. Mai 1984 mit 73 Prozent Nein-Stimmen und keinem einzigen annehmendem Kanton keine Chance. Nach der Abstimmung wurde die Erklärung von Bern gar beschuldigt, die Wirtschaft mit marxistischen Werten prägen zu wollen.
Eine Bewegung für eine gerechte Welt
«Wer ist der Drahtzieher? Das fragt man uns und andere kritische Leute und Weltverbesserer [...] Wäre zu sagen, dass wir unseren Drahtzieher ohne weiteres und gerne bekannt geben können: Jesus von Nazareth.»
Das hier in Auszügen präsentierte Pressecommuniqués wurde 1969 im Zusammenhang mit der «Aktion Weihnachten» veröffentlicht. Inszeniert wurde die Aktion von der damals noch jungen Arbeitsgruppe Dritte Welt (AG3W), welche mit dem Communiqué darauf aufmerksam machen wollte, dass der Wohlstand in der Schweiz auch auf Kosten der Menschen in Entwicklungsländern entstanden sei. Im Pressecommuniqué gibt die Arbeitsgruppe auf die rhetorische Frage, wer denn ihr Drahtzieher sei, die Antwort: Jesus von Nazareth! Diese Aussage verdeutlicht, dass christliche Motive für diese Bewegung vor allem in ihren Anfängen eine grosse Relevanz besassen. Dies überrascht wenig, setzte sich die Arbeitsgruppe ursprünglich doch aus Studierenden der Theologie zusammen.
Die AG3W war in den 1960er Jahren Teil der Dritten-Welt-Bewegung. Sie ist ein typischer gesellschaftlicher Akteur dieser Bewegung, die sich durch den Schulterschluss von christlichen Gemeinden mit Linken und der Studentenbewegung auszeichnet. Die AG3W war mitverantwortlich für ein verändertes Verständnis von Armut innerhalb der Schweizer Gesellschaft, weg von der Modernisierungstheorie hin zur Interdependenztheorie. Letztere geht davon aus, dass Konflikte wie auch Armut durch eine asymmetrische Nutzenverteilung entstehen würden. Daher wird der faire Welthandel in das Zentrum der Debatten gerückt. Die AG3W forderte dementsprechend die Wahrnehmung der Verantwortung der Schweizer Regierung gegenüber Staaten der Dritten Welt, was konkret Entwicklungshilfe und einen fairen Handel mit jenen Staaten bedeutete.
Mit Bildung zu einer gerechten Welt
In den 1970er Jahren lag ein Fokus der Dritte-Welt-Bewegung auf der Bekämpfung von Rassismus und der Aufklärung über verschiedene Kulturen. Man wollte Schulkinder für die Solidarität und die Dritte Welt sensibilisieren. Die Vertreterinnen und Vertreter der Dritte-Welt-Bewegung intendierten, Überheblichkeit und Rassismus durch Verständnis, Toleranz und Offenheit abzulösen. In der Schweiz zeigte sich jedoch, dass nur wenige Lehrmittel zur Entwicklungsthematik existierten. Um für die Dritte-Welt-Thematik zu mobilisieren, beabsichtigten Aktivisten und Aktivistinnen, das Thema daher via Kindergärtner und Kindergärtnerinnen sowie Lehrerinnen und Lehrer in die Bevölkerung zu verbreiten. Die Lehrmittelauszüge stammen aus einer Unterrichtseinheit für das 7. bis 9. Schuljahr. Die Unterrichtseinheit wurde im Jahr 1972 veröffentlicht und behandelt die Begegnung mit der Dritten Welt anhand des Beispiels Kamerun. Die Unterrichtseinheit besteht mehrheitlich aus langen Texten, zu denen man anschliessend Fragen beantwortet oder Vermutungen aufstellt. Ein Aspekt der Unterrichtseinheit zu Kamerun beschäftigt sich mit Zöllen, Import und Export. Auf einer Seite werden die Zolltarife für Rohstoffe abgebildet. Wenn man die Tarife für Kakao genauer anschaut, fällt auf, dass Kakaobohnen roh oder geröstet frei von Zolltarifen sind. Im Gegenteil dazu werden Zölle auf verarbeiteten Kakao erhoben. Da keine Zollkosten für rohe oder geröstete Bohnen entstehen, ist es offensichtlich das Ziel der Schweiz zu erreichen, dass es für Kamerun reizvoller ist, den Rohstoff und nicht Zwischenprodukte für Schokolade in die Schweiz zu exportieren. Ziel dieser Aufgabe der Unterrichtseinheit ist es somit, den Schülerinnen und Schülern aufzuzeigen, dass Kamerun und andere Länder der Dritten Welt künstlich im Status eines Rohstofflieferanten gehalten würden und eine Industrialisierung verhindert werde.
Freiwillige Helfer und Helferinnen
Eine Form staatlicher Entwicklungshilfe wurde, geprägt von der Interdependenztheorie, in Form von Friedenskorps geleistet. So entsandte man freiwillige Helferinnen und Helfer anfangs der 1960er Jahre nach amerikanischem Vorbild in Entwicklungsländer aus Gebieten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Sie wurden davon überzeugt, dass ihre Hilfe nötig sei und dass sie sich in den Entwicklungsländern nützlich machen würden. Die Absicht für diese Entwicklungshilfe war ein gleichberechtigter und vertrauensvoller Umgang mit den Menschen vor Ort. Im Widerspruch dazu stand die Überzeugung, als Schweizer oder Schweizerin einen Wissensvorsprung gegenüber den Menschen in den Entwicklungsländern zu haben. Trotz der Vermittlung der Funktion des «älteren Bruders» griffen viele Freiwillige auf den westlichen Überlegenheitsdiskurs zurück. Die Helfenden verstanden sich als helfend-erziehende «ältere Geschwister» oder «Väter» respektive «Mütter». Die Fotografie, geschossen in den 1960er Jahren in Indien, belegt diesen paternalistischen Blick. Der «ältere Bruder» oder der «grosse Bruder» führt der zweiten Person die Hand und bringt ihr etwas bei. Das Bild des «weissen Mannes» war somit immer noch ein wiederkehrendes Symbol und die Entwicklungsarbeit war geprägt von der Diskrepanz zwischen Brüderlichkeit, einer Beziehung auf Augenhöhe und Paternalismus. In den Entwicklungsländern wurde den freiwilligen Helferinnen und Helfern denn auch wenig Wertschätzung entgegengebracht. Es zeigte sich, dass sich die Sicht auf Armut in den Entwicklungsländern von der Sicht auf Armut in den Industrieländern unterschied. So stellte sich die Frage, ob eine solche Hilfe von den Dritte-Welt-Ländern überhaupt gewünscht sei. Dies musste verneint werden und so wurde das Projekt 1972 eingestellt.
Neuinterpretation der Entwicklungshilfe
In den 1960er Jahren fand in der Schweiz und global ein Wandel statt, wie man fortan die Entwicklungshilfe grundsätzlich angehen sollte. Unter der zuvor weit verbreiteten Modernisierungstheorie, welche die Unterstützung der Entwicklungsländer durch finanzielle Mittel voraussetzt, konnte man keine grossen Erfolge erzielen. Der Wandel zur Interdependenztheorie, welche aktive Hilfe und somit eine gegenseitige Abhängigkeit voraussetzt, fand aufgrund der bisherigen Misserfolge und Ernüchterungen statt. Die neuen Ideen, wie man fortan die Entwicklungshilfe angehen sollte, fand in der Schweizer Bevölkerung grossen Anklang. Vor allem junge Menschen waren begeistert und wollten Freiwilligenarbeit leisten, um die Armut in anderen Ländern zu bekämpfen. Die «Schweizer Filmwochenschau» gibt einen Einblick in ein solches Freiwilligenprogramm. Die freiwilligen Helferinnen und Helfer lernen in ihrer 3-monatigen Ausbildung praktisch und theoretisch essenziell wichtige Fähigkeiten. Die Schweizerinnen und Schweizer sollten nicht als Expertinnen und Experten vor Ort handeln, sondern mehr die Rolle als Helferin und Helfer sowie als Beraterin und Berater einnehmen. In der theoretischen wie praktischen Ausbildung lernten die Helferinnen und Helfer die Sprache, wichtige Arbeitsabläufe und wie sie am besten ihren gelernten Beruf einsetzen können. Zunächst sollten Testprojekte in den Entwicklungsländern zeigen, ob sich diese Form durchsetzt und wie sie bei den Einheimischen wirkt. Die Quelle handelt genau von so einem Testprojekt, welches in Tunesien umgesetzt wurde. Es zeigt unter anderem bereits Probleme, welche zu Beginn nicht beachtet wurden. Die Hilfeleistungen wurden von den Einheimischen meist nicht als Hilfe angesehen, sondern als Konkurrenz, welche sie um ihren Job und somit um ihre Existenz brachte. Ziele wurden meist nur in «Vorzeigedörfern» erreicht und nicht im ganzen Land. Punktuell wurden also durchaus Erfolge erzielt, jedoch nicht weitreichend genug, um die Armut im gesamten Land zu bekämpfen.
Kritik der Entwicklungshilfe
Die Frage, was die richtige Methode für Entwicklungshilfe ist, ist bis heute umstritten. Der «Bericht vor 8» des Schweizer Fernsehens vom 29.01.1975 stellt die bisherig geleistete staatliche Entwicklungshilfe der Schweiz in Frage. Die Schweiz als eine der Industrienationen wurde von der OECD zur Zahlung von Hilfsgeldern verpflichtet. Die Hilfsgelder wurden anhand des Brutto-Inland-Produkts (BIP) berechnet. Jedes Land hätte einen gewissen Prozentsatz an die Entwicklungshilfe abzugeben. In der Schweiz belief sich dies im Jahr 1975 auf 0.16 %. Damit war die Schweiz als drittschwächster Zahler aller Industrienationen gelistet und daraufhin heftig von der OECD und anderen Ländern für die mangelnde Einsatzbereitschaft kritisiert worden. Um sich etwas aus der Schlinge zu befreien, bezog sich Bern auf den Betrag, welcher doch 200 Mio. Franken ausmache und auf die angeblich höhere Qualität der Entwicklungshilfe. In der Tat waren die Hilfeleistungen vor allem im medizinischen Bereich von sehr guter Qualität und leisteten ihren Beitrag. Trotz dieser erfolgreichen Kleinprojekte gab es Kritik an der Umsetzung der Projekte, dem Nutzen in der Landwirtschaft und ob die geplanten Ziele erreicht wurden. Es konnte eine Produktionssteigerung erzielt werden und wenn weiterhin ein solcher Erfolg erzielt werde, könne auch das ganze Land davon profitieren. Dies widerspiegelte aber nicht ganz die Realität. Bern wollte sich bewusst etwas von der harschen Kritik befreien und bezog sich gerne auf die möglichen Erfolge. Es war jedoch klar, dass mehr Hilfeleistungen erforderlich waren, wenn das ganze Land profitieren sollte, denn die Umsetzung gestaltete sich zu Beginn schwierig. Die Technologie war nicht auf die Infrastruktur der Einheimischen ausgelegt, was sich in den mangelnden Einsatzmöglichkeiten zeigte. Klar ist auch, dass von der Entwicklungshilfe die Reichen weiter profitiert haben und so eine noch grössere Kluft zwischen Arm und Reich entstanden ist. Die Menschen, welchen durch die Entwicklungshilfe eigentlich geholfen werden sollte, haben heute (1975) nicht mehr zu essen als vor zehn oder fünfzehn Jahren (5:15 – 6:09). Realitätsnahe waren die Aussagen von Bern nicht, vieles war wage und Spekulation. Trotzdem konnte man sich auch durch diesen Bericht etwas aus der Schlinge der Kritik befreien. Der Bericht zeigt im Allgemeinen sehr gut auf, wo die Probleme der damaligen Entwicklungshilfe lagen und weshalb trotz des vielen Geldes keine bahnbrechenden Fortschritte erzielt wurden.
Kampagnen von «Brot für alle» im Wandel der Zeit
«Brot für Brüder» wurde 1961 als Aktion einer Abgeordnetenversammlung des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes gegründet. Innerhalb eines Jahres wurden auf unterschiedliche Art und Weise 16 Millionen Schweizer Franken gesammelt. Aufgrund der unerwartet hohen Einnahmen im Jahr 1961/62 wurde in den Jahren 1965 bis 1967 eine erneute Spendensammelaktion lanciert. Diese war mit Einnahmen in einer Höhe von 13 Millionen Schweizer Franken ebenfalls ein voller Erfolg. «Brot für Brüder», heute «Brot für alle», organisiert auch heute noch Kampagnen. Die ökumenische Kampagne von 2022 will den Menschen das Problem der globalen Armut vor Augen halten. Vergleich zu den Spendenaktionen von 1961 und 1965/67 sind die Ziele nicht einfach, Geld zu beschaffen, um Entwicklungshilfe zu leisten, sondern auch Probleme wie Energieverschwendung, Littering oder auch die westliche Konsumgesellschaft zu thematisieren und die existierende Situation in Frage zu stellen. Gemäss der Interdependenztheorie wird dabei bewusst das übermässige Konsumieren in Relation zu den Umweltkatastrophen in Indonesien gestellt. Die alljährliche Heftausgabe der ökumenischen Kampagne zeigt die Präsenz, die die religiöse Entwicklungsarbeit heute noch hat, jedoch auch, wie sie sich im Vergleich zu früheren Spendenaktionen verändert hat. Man setzt mehr auf Aufklärung als auf Mitleid und versucht die Leserinnen und Leser zu überzeugen, dass auch kleine Taten Grosses bewirken können.
Quellenverzeichnis
Titelbild
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Die Autorinnen und die Autoren
Céline Habegger
Janine Hohl
Cyrill Lämmler